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■ LokalterminMoritz und die Eisenhandlung

Moritz und die Eisenhandlung

Längst ist es nicht mehr so, daß zu einer neu eröffneten Kneipe im Ostteil Berlins das Publikum zuhauf herbeiströmte und die Party kein Ende nähme. Man ist vorsichtig geworden. Im übrigen hat sich natürlich auch die gesellschaftliche Bedeutung solcher offiziellen Akte spürbar verringert — zu viele Fremdkörper, die den Prenzlauer Berg bevölkern, da sieht ja keiner mehr durch. So konnte es kommen, daß das Eisenwerk ein wenig unterging. Dabei ist die Ecke eigentlich ganz nett. Und das Eisenwerk auch. Aber was heißt schon: ganz nett. Früher war es hier aufregend und die Kneipen konnten aussehen, wie sie wollten. Voll waren sie immer. Und wenn es noch eine Frühstückskarte gab, konnte sich die gastronomische Begeisterung des Publikums einschließlich der des Rezensenten kaum halten. Dem Eisenwerk wird es nun vielleicht gehen wie jeder besseren Imbißbude. Man nimmt sie zur Kenntnis. Doch mehr nicht.

Die Kneipenkultur im Osten der Stadt verliert mehr und mehr ihren intimen Charakter. Statt dessen schleicht sich Professionalität ein. Das Eisenwerk ist zweigeteilt. Links, im Laden, gibt es Pailettenmode und Schräges aus der Staniolfabrik; Hüte, Hemden, Sweater, dazu jede Menge textiles Artwork. Eigentlich sollte daraus eine Galerie werden. Davon kündet noch Moritz — der genialste unter allen rechtschreibekundigen Siebdruckern des deutschen Ostens. Seine Drucke sind die Brausetablette in jeder Galerie. Nun hängt er rechts im Eisenensemble im Café und zeugt von gutem Geschmack der verhinderten Galeristin. Auch der Rest der ambitionierten Mischung geht auf: Plastepapagei, Kitschrelikte und Espresso, dazu ein preiswerter Whiskey und ein sauberes Klo.

Die Frühstückskarte gilt ab zehn Uhr und bietet etwas für Vegetarier und etwas für Müslis sowie für Franzosen und Gourmets, wobei die letzteren Rubriken ausdrücklich getrennt werden, was recht bemerkenswert ist, da die Franzosen eines nicht können, nämlich Frühstücken. Zum Frühstück für Gourmets, zu dessen Verzehr man allerdings zu zweit kommen muß, wie es die Karte verlangt — wahrscheinlich sind Gourmets morgens um zehn sonst zu schüchtern — gibt es »zwei Sekt«, wobei man hoffen möchte, daß weder zwei Flaschen noch der Prosecco, der im Regal bloß stört, gemeint sind. Dann schon lieber den Badischen Landwein. Aber ein richtiger Gourmet trinkt Champagner — im Eisenwerk: das Glas neun Mark. Das prickelt wie Moritz.

Eisenladen & Eisenwerk in der Sredzkistraße, Prenzlauer Berg

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