Ein »Hofstaat« für die Autos

■ Berliner Geschäftsleute hinken der Zeit hinterher: In München bezahlen über 100 Händler ihren Kunden den Bahn- oder Bus-Fahrschein

Berlin/Bonn. Berlins Autofahrer können aufatmen: Sie werden weiter dafür belohnt, daß sie Abgase in die Luft pusten, statt auf Bahnen und Busse umzusteigen. Denn die Berliner Händler werden auch in Zukunft Parkgebühren mitfinanzieren oder gar erstatten, für BVG-Fahrkarten hingegen gibt es keine müde Mark.

Rechtsanwaltskosten eingeplant

Woanders ist man längst weiter. Ein Kölner Geschäft für Biomöbel hatte vor drei Jahren für den ersten Wirbel gesorgt, als es großflächig warb, Kosten für öffentliche Verkehrsmittel zum Teil zu übernehmen. Denn, so Geschäftsführer und Hauptgesellschafter Johannes Genske: »Wir Händler sind verantwortlich für den Kundenverkehr, den wir verursachen. Also müssen wir versuchen, ihn möglichst umweltfreundlich zu gestalten.« Er plante Rechtsanwaltskosten im Werbeetat gleich mit ein und machte die neue Aktion publik.

Kaufhäuser mahnten, klagten und siegten

Das sahen die Kaufhäuser mit ihren großen teuren Parkhäusern gar nicht gerne. Sie mahnten, klagten und siegten. Bis vor den Bundesgerichtshof kam der Fall, die Aktion wurde verboten. »Übertriebene Werbung« bemängelten die Richter, die Idee diene dem Verkauf, nicht dem Umweltschutz.

Zwar belohnten die Stadt Köln, der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und die Höheren Beamten der Bundesbahn das Engagement mit ihren Umweltpreisen, doch Genske vermutet ohnehin, »daß sich die Richter nur die Finger nicht dreckig machen wollten«. Denn bei einem grundsätzlichen Verbot hätte der Kölner gegen die übliche Erstattung von Parkhausgebühren geklagt. Sicherheitshalber fügte der BGH also hinzu, daß ein üblicher »Handelsbrauch« gemäß Wettbewerbsrecht zulässig sei.

Den wollen jetzt über hundert findige Händler in München einführen. Sie ersetzen Kunden aus dem Umland einen Teil der Fahrtkosten und hoffen, auf diese Weise das Brauchtum etablieren zu können.

Bis dahin können sich die Kaufhäuser weiter hinter dem BGH-Urteil verstecken: »Das ist rechtswidrig«, erklärt zum Beispiel Oskar Diesing, Geschäftsführer des Verbands der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Berlin.

Dem widerspricht Bundesumweltminister Töpfer: Eine genaue Analyse des Urteils zeige, »daß die Erstattung der Kosten für die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr wohl zulässig ist«. Er fordert den Handel auf, »den Fahrpreis zumindest teilweise zu erstatten, statt die häufig geübte Praxis der Anrechnung der Parkgebühren auf den Kaufpreis fortzusetzen«.

Doch in Berlin ist das noch nicht angekommen. So parken Kunden im Vorzeigekaufhaus des Westkonsums, dem KaDeWe, weiterhin eine Mark billiger als andere. Und Pressesprecherin Karin Tauer versichert, daß es noch keine anderen Pläne gebe. Auch sonst geschehe in Berlin nichts, klagt Brigitte Kunze, Verkehrsberaterin in der Bonner Bundesgeschäftsstelle des VCD. Sie koordiniert die Erfahrungen aus nunmehr über 30 Städten, in denen Bahn und Bus Vorrang erhalten sollen.

Nur die Drogisten zeigten sich interessiert

»Nein, das ist in Berlin überhaupt noch nicht im Gespräch«, bestätigt Bertold Burkard, Geschäftsführer von Karstadt am Leopoldplatz, obwohl dort der U-Bahn-Aufgang praktisch ins Geschäft führt. Auch die Verbände der kleineren Geschäfte hinken der bundesweiten Diskussion hinterher. Nur die Drogisten zeigen sich aufgeschlossen: »Das ist wirklich eine interessante Idee«, meint Horst von Przybylski, Vorsitzender des Verbands Berliner Reformhausinhaber. Er werde die Fahrkostenerstattung im Bundesverband anregen.

Sicher ist, daß die Klagen der Kaufhäuser zurückgehen werden, je stärker sich die Praxis etabliert. Denn was alle machen, kann kein unlauterer Wettbewerb sein, so der BGH. Bis dahin müssen sich noch einige einzelne aktiv hinter den Umweltschutz stellen, sich mit Abmahnvereinen, Anwälten und Gerichten herumschlagen. Mut macht der Kölner Biomöbel-Händler Genske, der durch das Verfahren bekannter wurde denn je: »Dat mad och Spaß!« Christian Arns