MIT BIOTECH-AKTIEN AUF DU UND DU
: Aids beflügelt Geschäfte

■ Die Werte der US-Laborfirmen schießen in die Höhe

New York/Berlin (taz) — „Ich habe nichts gegen Aids. Im Gegenteil. Jedes prominente Aids-Opfer steigert den Umsatz und damit das Geschäft“, erklärte ein New Yorker Broker anläßlich des Todes von Freddy Mercury. Kein Wunder, denn das ramponierte Ansehen der Aktien von Bio-, Gen- und Medizintechnologieunternehmen hat sich mit der epidemischen Ausbreitung von Aids schlagartig verändert. Viele der ehemals als äußerst zwielichtig eingeschätzten Penny- Stocks gelten heute als Hoffnungsträger.

Obwohl Experten für die Entwicklung eines Aids-Impfpräparates noch zehn bis fünfzehn Jahre veranschlagen und die meisten Laborfirmen mit Verlusten arbeiten, herrscht unter Spekulanten bereits Goldgräberstimmung. Schon marginale Ergebnisse, die nur bei großzügiger Auslegung etwas mit Aids zu tun haben, regen die Phantasie der Broker an.

Dabei wird weniger auf wirtschaftlich solide Daten oder eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auf den Kopf eines angeblich genialen Forschers gesetzt. Und der muß nicht einmal bei BASF, Hofmann La Roche oder Eli Lilly angestellt sein. Wie aus namenlosen Unternehmen Milliardenkonzerne werden können, haben Simon Cray oder die Apple- Leute den Börsianern vorexerziert. Wie in den 80er Jahren, wo die Wirtschaftsimpulse von der Computerindustrie ausgingen, ist man heute überzeugt, daß der nächste Innovationsschub aus der Bio- Branche kommt.

Welche astronomischen Summen an der Börse für nicht ausgereifte Erfindungen gezahlt werden, haben die letzten Monate an der Wall Street gezeigt: Aktien wie T2 Medical, Immune Response oder Synergen, vor zwei Jahren noch No-Name-Werte, stiegen um bis zu 2.000Prozent. Selbst etablierte Firmen wie Amgen oder Chiron konnten ihren Wert verdreifachen.

Indikator für die boomende Labortechnologiesparte ist auch der Optionsmarkt. Während vor zehn Jahren im Optionshandel kaum ein Biotech-Titel zu finden war, wird dieser heute davon geradezu überschwemmt. In Chicago soll sogar ein Biotechnologie-Index-Optionsmarkt eröffnet werden. „Der Bedarf an Biotech-Aktien ist so ungeheuer groß“, meint Richard Du Four, Vice-Präsident der Chicagoer Optionsbörse, daß „ein Indexhandel durchaus gerechtfertigt erscheint.“

Mit welchen Mitteln dabei die Kurse manipuliert werden, zeigte unlängst die US-Börsenaufsichtsbehörde am Beispiel von Immune Response. Gerüchte von einem neuen Aids-Präparat ließen den Kurs im Laufe des Jahres von knapp über zwei auf 62 Dollar hochschnellen. Als jedoch Amerikas oberste Kontrollbehörde, die Federal Drug Administration (FDA), die Zulassung des Medikaments erst einmal stornierte, sackte der Kurs auf 28 Dollar im Low ab. Doch Insider, darunter auch der ehemalige Firmenchef William M. Sullivan, waren aus der FDA gewarnt worden und konnten noch kräftig absahnen. Bevor die Behörde eingriff, hatten sie ihre Anteile zu Jahreshöchstkursen abgestoßen.

Daß sich Insider auf Kosten der Kleinanleger wieder einmal bereichern konnten, zeigt, daß es trotz strengerer Börsenkontrollbestimmungen nach dem Boeskey-Skandal noch genügend Schlupflöcher gibt. Doch solche Affären scheinen die New Yorker Börsenprofis eher zu amüsieren — anders läßt sich die jüngste Hausse auf dem extrem unübersichtlichen und riskanten Biotech-Markt nicht erklären. Richard Schroetter