: Alles Hamlet oder nichts
■ »Die Langeweile des zweiten Wächters« — ein neues Projekt im Ballhaus Naunynstraße
Die Langeweile des zweiten Wächters ist bereits die fünfte Inszenierung des Theaterprojekts »Tausend und eine Ausnahme«, und man kann mittlerweile auf eine beachtliche Reihe von Auslandsgastspielen zurückblicken: so beim Istanbuler Theaterfestival oder auf dem Moskauer Flughafen. Daß die Bühne »mal eben so« mit einer Airport-Empfangshalle ausgetauscht werden kann, gehört durchaus zum Anspruch und Programm der Gruppe, die den Wirklichkeitsraum Theater als geschlossene Anstalt zu hinterfragen sucht und in ihre Aufführungen installative Elemente miteinbezieht.
Im aktuellen Fall ist dies ein Plastikeimer, der an einer meterlangen Spiralfeder, oben mit seinem Pendant verbunden, von der Decke herabhängt. Für die musikalisch-akustische Dimension bei »Tausend und eine Ausnahme« sorgt der Klang-Installateur Michael Maria Kammertöns, der Eimer, Trichter oder anderes Alltagsgerät als Resonanzkörper für seine vielfältige Bespielung des Spiralfeder-Monochords verwendet. Als weiteres Instrument dient Kammertöns ein weitverzweigtes System von Stahldrähten und Styroporplatten — und er erzielt mit ihnen keinesfalls einfältige, sondern ganz erstaunliche Klangeffekte.
Leider aber untermalt dieses skulpturale Instrumentarium nur ein immer mehr ins Banale abgleitendes Bühnengeschehen. Seine Töne sollen die Absurdität, den Hang zur Farce atmosphärisch unterstreichen. Das Geschehen: Am Hofe des Königs zu Dänemark hat einer der Wächter keine Lust mehr, Abend für Abend Wache zu schieben. Natürlich wird hier nicht Hamlet gespielt. Zu sehen ist, wie auf irgendeiner Bühne Hamlet gespielt wird. Und so ist es nicht der Wächter, sondern der Schauspieler, der seinen Posten verläßt. Am Anfang des Stückes ist noch eine Konzeption erkennbar, deutet sich ein komödiantisches Changieren zwischen Bühne und Wirklichkeit an. So wird der Schauspieler, der seine Rolle abstreifen wollte, nicht nur von ihr, sondern von zahlreichen Charakterchargen heimgesucht, die mal Bühnenzitate, mal etwa banale Handwerker zu sein scheinen. Der Schauspieler, der die Bühne verlassen hat, erfährt seinen Alltag als groteskes Bühnengeschehen.
Hätte die Inszenierung (Buch und Regie: Orhan Güner) nur der Episode für Episode sich herstellenden Pointe vertraut, es hätte gutgehen können. Also: Es hätte beim Zitat aus Hamlet bleiben müssen. Statt dessen versucht sich das Stück an einer langwierigen Ausblasung Hamletscher Sinn- und Existenzkrisen. Nur daß jener auf dramatische Weise nicht unrichtig dachte, aber falsch handelte — der vorliegende aber wie ein Yuppie räsoniert, dem beim dritten Grappa das Nachdenken kommt. Klar, daß er mit diesen Gedanken — wen auch sonst? — seine Frau malträtiert, die dies als eine weitere Anstrengung des häuslichen Alltags wohl hinzunehmen hat.
So sitzt man viel zu lange im neobürgerlichen Wohnzimmer und wohnt Deklamationen à la »Mach' ich einen Fehler, oder bin ich der Fehler?« und manchmal beklemmend pubertären Phantasien bei. Bis die Frau den Mann, als letzte produktive Verwechslung des theatralischen mit einem wirklichen Akt, endlich erschießt. Bernd Gammlin
Weitere Aufführungen finden von 23.-26.1. und von 30.1.-2.2. im Ballhaus Naunynstraße statt. Beginn: jeweils 20 Uhr.
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