: »Hilfe gibt's nur für Familienbetriebe«
■ Brandenburgs Bauern dürfen nur halb soviel Milch produzieren wie Landwirte in Bayern/ Europäische Subventionspolitik auf kleine Familienbetriebe zugeschnitten/ Landwirtschaftsminister Zimmermann will »extensive Landwirtschaft«
Brandenburg Land. 09118 produziert jeden Tag 18,8 Liter Milch. Mit ihren knapp 6.900 Litern im Jahr gehört die Kuh, die keinen Namen hat, zu den leistungstärksten Rindern in Brandenburg und könnte sogar den Vergleich mit hochgezüchteten Schwarzbunten aus westdeutschen Ställen wagen.
Rudi Bienek wünscht sich mehr Milch. Im vergangenen Jahr pumpten die Melkmaschinen der »Rhinlandagrargesellschaft Kremmen mbH« etwa eine Million Liter aus den Eutern von 1.250 nummerierten Milchkühen. Doch das genügt dem Geschäftsführer nicht. Der Bundeslandwirtschaftsminister solle dem Land Brandenburg einen Festpreis für ein höheres Kontingent zusichern — die Milchquote erhöhen, wie es im Agrardeutsch heißt.
Bauer Bienek will nicht nur aus Profitgier prallere Euter. Von den ursprünglich 650 Mitarbeitern der Kremmener Genossenschaft, 50 Kilometer vom Berliner Zentrum entfernt, ist nicht einmal ein Viertel übrig geblieben. Und die müssen 18 Millionen Mark Schulden abarbeiten. Das Defizit entstand, als die Gesellschaft aus drei ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) hervorging — laut Einigungsvertrag mußten die Folgebetriebe nahezu alle Verpflichtungen übernehmen. In den neuen Bundesländern seien dadurch acht Milliarden, in Brandenburg alleine zwei Milliarden Mark zusammengekommen, sagt Wolfram Wickert, Sprecher des Landwirtschaftsministeriums.
Aber nicht nur deshalb geht es der brandenburgischen Landwirtschaft eineinviertel Jahr nach der Vereinigung schlecht. Landwirtschaftsminister Edwin Zimmermann (SPD) will sich in dieser Woche mit Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle (CSU) dann auch »ausgiebig unterhalten«. Die Forderung der etwa 1.500 Bauern, die am vergangenen Freitag anläßlich der Eröffnung der Grünen Woche vor dem Messegelände protestierten, unterstütze er, sagte Edwin Zimmermann der taz: »West- und ostdeutsche Landwirte müssen gleiche Chancen haben.«
Zimmermann will sich in Bonn dafür stark machen, daß die Bauern der neuen Länder Teile übernommener LPGs verkaufen dürfen, ohne mit dem »Verdienst« die Schulden bei der Bank abzahlen zu müssen, »wie sollen die landwirtschaftlichen Betriebe sonst das Geld für Investitionen auftreiben?«
Die mit Bonn ausgehandelte Milchquote — der Anteil, für den Brandenburgs Erzeuger einen Festpreis erhalten — müsse erhöht werden. Das Kontingent betrage auf die von Farmern genutzte Fläche gerechnet nur die Hälfte von dem der in Bayern. »Die Quote zu verdoppeln wäre gerecht«, findet Zimmermann deshalb, glaubt aber nicht daran, daß diese Forderung durchzusetzen ist. Mit einer Steigerung um ein Drittel wäre der Minister auch zufrieden — Zeit zum Feilschen bleibe jedenfalls nicht.
Sein Sprecher Wolfram Wickert unterstützt den Minster mit Daumenkinos. Der Ministeriumssprecher ließ in Halle 20 (»Genießen auf gut deutsch«) 5.000 Stück von den Hosentaschenkinos verteilen; Zimmermann spielt die Rolle eines Stiers und Kiechle die eines Toreros. Obwohl sich der Bonner zum Einreiten Mut antrinkt, gibt er beim »wilden Edwin« schon nach zwei Versuchen auf.
Verfälschender kann das Verhältnis zwischen (Neu-)Land und Bund nicht dargestellt werden. Denn bisher diktierte der Bonner Minister seinem Brandenburger Kollegen die EG- und Bundespolitik.
Einst arbeiteten in der DDR 800.000 Menschen in Schweineställen und auf Rübenackern. Langfristig werde nur für jeden achten der Arbeitsplatz erhalten bleiben, schätzt Günter Flessner, Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Von knapp 180.000 Personen allein in Brandenburger LPGs stehen heute nicht einmal mehr 55.000 in Lohn und Brot — am Jahresende soll die Zahl nach Angaben des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, noch einmal auf 50.000 absinken.
Beispielsweise seien in der Umgebung von Bensdorf acht Agrobetriebe an den Klippen der Marktwirtschaft »zerschellt«, berichtet Hans- Joachim Tonne, Chef der »Märkischen Ceres Genossenschaft«. Sein Betrieb habe die Umstellung bewältigt, weil unproduktive Bereiche stillgelegt und die Tierproduktion der Nachfrage angepaßt worden sei: weniger Kühe, mehr Schweine.
In manchen Dörfern habe nur noch jeder fünfte eine Anstellung, sagt Wickert. Dennoch sei nicht für alle, die entlassen wurden, die Jobsuche aussichtslos. Zu den staatlichen Genossenschaften zählten auch Autowerkstätten, Hotels und Kindergärten. Für arbeitslose Mechaniker, Gastronomen und Erzieherinnen berge der Arbeitsmarkt im Gegensatz zu Landwirten noch Chancen.
Einer der Hinausgeworfenen ist der Ehemann von Sigrun Kallisch. 30 Jahre sei er in der Landwirtschaft tätig gewesen, berichtet seine Frau. Ihr Mann ist mit 54 nicht alt genug, um in den Vorruhestand gehen zu können, aber offenbar noch jung genug für eine Umschulung zum Umwelttechniker. Inzwischen ist Sigrun Kallisch zur Haupternährerin der Familie geworden.
Sie hält tagtäglich von 3.000 Rindern der Rhinlandagrargesellschaft die gezapfte Milchmenge, Krankheiten, Pflege und Begattungen fest. Um ihren Job bangt die »Dokumentaristin« nicht: »Das Schwert schwebt weiter über diesem Betrieb, aber solange es Kühe gibt, werde ich gebraucht.«
Minister Zimmermann will möglichst viel retten. Deshalb will er wenig stillegen lassen und die Produktion großflächig »extensivieren«. Dafür stellen Bauern die Produktion von Getreide, Heu, Kartoffeln und anderem auf alternative Produktionsverfahren um — die Erträge sinken zwar um 20 Prozent, aber ab diesem Jahr unterstützt die EG die »Maßnahme zur Marktenlastung« mit 425 Mark den Hektar. Das Land gab bereits im letzten 350 Mark.
Doch was im ersten Moment äußerst fortschrittlich scheint, entpuppt sich auf den zweiten Blick als pure Notwendigkeit. Bis zu 40 Prozent des Ackerbodens seien »sehr karg«, schätzt Ministersprecher Wickert. 40 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche machen knapp ein Viertel des gesamten Landes Brandenburg aus.
Durch die neue Konkurrenz aus dem Westen lohne sich auf dem »kargen« Boden kein Anbau mehr, sagt Wickert. Nun soll es nach dem Willen des Landwirtschaftsministers Zimmermann Grünland werden, auf dem pro Hektar nur zwei bis zweieinhalb Rinder, Schafe oder Pferde grasen.
Zimmermann fördert auch die Umstellung auf einen »ökologischen Landbau«. Im vergangenen Jahr hörten 21 Betriebe damit auf, Pestizide und synthetische Dünger auf ihre Felder zu kippen. Weil ohne Chemiekeule im Schnitt ein Drittel weniger Getreide, Kartoffeln und Rüben wächst, zahlte das Land vier Millionen Mark Ausgleich — von der EG soll es dafür keinen Pfennig gegeben haben. Trotz Subventionen sind die gesunden Produkte teurer, finden ihre Abnehmer aber dennoch — überwiegend im Westteil von Berlin.
Den »ökologischen Landbau« betreut ein Beirat, in dem neben dem Landwirtschaftsministerium auch Wissenschaftler, Verbände wie »Demeter« und »Bioland«, Verarbeitungs- und Vermarktungsbetriebe sowie das Umweltministerium vertreten sind. Rolf Dietmar, beim Umweltministerium zuständig für die »Ökologisierung der Landwirtschaft«, bemängelt, daß die vier Millionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien. Bisher wurde von den 1,2 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche erst auf 5.000 Hektar mit der Umstellung begonnen. »Ökologisierer« Rolf schätzt, daß aber schon jetzt eine Nachfrage für mindestens die doppelte bis dreifache Menge Brandenburger Ökoprodukte bestehe.
Die erfolgreichste »Maßnahme zur Marktentlastung« im Sinne der Europäischen Gemeinschaft ist immer noch die Stillegung. Alte LPGs oder neue GmbHs nutzen seit vergangenem Jahr denn auch 200.000 Hektar weniger. Wolfram Seidel, zweiter Chef des Landesbauernverbandes findet es allerdings einen »schlimmen Grundsatz«, Überschüsse durch Stillegung »wegzuregulieren«. Bei Kremmen seien die Störche letztes Jahr viel eher fortgeflogen. Denn Wiesen würden nicht mehr gemäht, die »Indikatoren einer intakten Umwelt« hätten in dem hohen Gras keine Nahrung mehr gefunden.
Bauern wie Rudi Bienek bemängeln die EG-Stillegungspolitik aber auch aus einem anderen Grunde. Unabhängig von der Größe des Betriebes zahle Brüssel für die ersten 50 Hektar den vollen Satz, bis 100 Hektar Dreiviertel der Prämie und dann gar nichts mehr. »Die ganze Subventionspolitik ist auf westdeutsche und -europäische Familienbetriebe zugeschnitten«, ärgert sich der Geschäftsführer, »wenn die stillegen, wird ihnen geholfen, uns nicht.« Betriebe der ehemaligen DDR seien bekannterweise groß. Die Rhinlandagrargesellschaft Kremmen mbH verfügt über 6.300 Hektar — für 1.800 Hektar Brachfläche gebe es nahezu keine Unterstützung.
Bienek hat die Grüne Woche bereits besucht. Am vergangenen Freitag versammelte er sich zusammen mit 300 Bauern aus seinem Bundesland und Sachsen-Anhalt und protestierte gegen die Entwürfe zur europäischen Agrarreform. 09118 wird von allem kaum etwas merken. Nur das »Energiefutter« soll eiweißhaltiger werden, damit aus ihrem Euter noch mehr Milch fließt. Dirk Wildt
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