Der irische Knoten

■ Es gibt keine anglo-irische Lösung des Nordirland-Konflikts

Der irische Knoten Es gibt keine anglo-irische Lösung des Nordirland-Konflikts

Wieder einmal hat Europa nach dem brutalen Anschlag der IRA, dem am Freitag sieben protestantische Bauarbeiter zum Opfer fielen, widerwillig von dem Krieg am Rande des Kontinents Notiz genommen. Doch damit ist es nicht mehr getan. Die vergangenen 20 Jahre haben bewiesen, daß die am Konflikt beteiligten Parteien allein zu keiner politischen Lösung finden werden. Und eine militärische Lösung gibt es nicht. Keine Seite kann diesen Krieg gewinnen. Die protestantischen Politiker, die jetzt eine erbarmungslose Offensive gegen die IRA fordern, nehmen dabei in Kauf, daß vor allem die katholische Ghettobevölkerung zu leiden hätte.

Ihre Argumentation ist zynisch: Solange die Ghettobewohner nicht die IRA aus ihrer Mitte entfernen und sie an die Behörden ausliefert, verdienen sie es nicht besser. Diese Politiker übergehen geflissentlich die Tatsache, daß genau jene britische Brutalität und Diskriminierung einen großen Teil der katholischen Minderheit erst der IRA in die Arme trieb. Die IRA ist lediglich Produkt des Konflikts, nicht dessen Ursache. In der nächsten Woche werden Tausende von Menschen der 14 unbewaffneten, wehrlosen Demonstranten gedenken, die vor 20 Jahren in Derry von britischen Fallschirmjägern kaltblütig ermordet wurden. Ein anderes, viel älteres Ereignis, hat sich tief in die irische Psyche gegraben: Die Hungersnot Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die in Wahrheit ein Genozid war. Während die Bevölkerung durch Hungertod und erzwungene Auswanderung auf die Hälfte dezimiert wurde, importierte England ungerührt Getreide aus Irland.

Damit soll keineswegs das Massaker an den sieben protestantischen Arbeitern vom vergangenen Freitag entschuldigt werden. Doch es folgt der Logik dieses Krieges: Wenn IRA-Einheiten ihr Leben riskieren, um Kasernen und Polizeireviere zu zerstören, dann darf ihre „Arbeit“ nicht durch Bauarbeiter zunichte gemacht werden — so die Argumentation der IRA. Doch geht die IRA fehl in ihrer Einschätzung der englischen Mentalität, wonach die verheerenden Anschläge dazu führen werden, daß die Bevölkerung der Nachbarinsel schließlich den Rückzug ihrer Truppen fordern wird.

Der irische Knoten kann nur durchschlagen werden, wenn Gewalt durch Dialog abgelöst wird. Solange sich aber nordirische Politiker und die Regierungen in London und Dublin weigern, mit den politischen Flügeln der paramilitärischen Organisationen beider Seiten zu verhandeln, wird sich die Spirale der Gewalt immer schneller drehen. Die Beispiele der PLO und des ANC zeigen, daß Regierungsprinzipien durchaus flexibel sind — ohne die jeweilige politische Situation auf Nordirland übertragen zu wollen. Es ist an der Zeit, daß Europa ein aktives Interesse an der Konfliktlösung im Fall Nordirlands zeigt — der ältesten britischen Kolonie. Ralf Sotscheck