: „Uaaarrgghaaah“
Michael Stich verlor im Viertelfinale der Australian Open ein trostloses Match gegen Richard Krajicek/ Auch John McEnroe (gegen Ferreira) und Ivan Lendl (gegen Edberg) draußen ■ Aus Melbourne Mario Vigl
In einem trostlosen Fünfsatz-Match ist Michael Stich im Viertelfinale der Australian Open gegen den Holländer Richard Krajicek mit 7:5, 6:7, 7:6, 4:6 und 4:6 ausgeschieden. Drei Stunden und fünfunddreißig Minuten quälten die Aufschlag-Volley- Fanatics das tapfer harrende Publikum mit in Serie verschlagenen Returns, verstolperten Volleys, hoffnungslosen Lobs und höchstens sieben richtigen Ballwechseln. Die ersten drei Sätze waren jeweils bis zum 5:5 eine Anhäufung der eben beschriebenen Katastrophen. Einige rare Breakbälle wurden bis dato immer durch pure Aufschlaggewalt abgewehrt. Leises Stöhnen wehte über die teuer bezahlten Ränge: Wer findet sich schon gerne damit ab, sechzig Dollar für ein Match mit dem Unterhaltungswert von stundenlangem Aufschlagtraining investiert zu haben?
Den ersten Satz sicherte sich Stich, als er den bis dahin bei eigenem Aufschlag nur drei Punkte abgebenden Krajicek überraschend breakte. Doch sofort ging die freudlose Klopperei weiter. Kleiner Spannungshöhepunkt im zweiten Satz: Michi wehrte bei 5:5 zwei Breakchancen des Holländers ab. Die unerwartet aus ihrer Apathie gerissenen Zuschauer erlebten deshalb bei vollem Bewußtsein, wie Stich sich rumpelstilzchenhaft über einen nicht gegebenen Doppelfehler von Krajicek beschwerte und wie Motze-Michi kurz darauf im Tiebreak mit 2:7 einging.
Im dritten Satz passierte bis auf eine einsame Breakmöglichkeit des käppitragenden Krajicek gar nichts, nur die armen Ballkinder mußten ständig die vergurkten Bälle aufräumen. Das allgemein erflehte Ende des trostlosen Durchgangs brachte wieder der Tiebreak, den der mit einem weißgepunkteten blauen Stirnband Erinnerungen an heiße Elsmhorner Gymnasial-Disco-Nachmittage hervorrufende Stich mit 7:2 gewann.
Sportlich gesundete das Spiel auch weiterhin nicht. Nur der Unterhaltungswert steigerte sich geringfügig, als Michael in Satz vier eine Linienrichterin dermaßen anbrüllte, daß die Arme kalkweiß anlief und in todesähnliche Starre verfiel. Sie sollte erst 15 Minuten nach Ende der Begegnung wieder aufstehen. Und noch nicht genug der Kurzweil, kurz danach trümmerte Stich seinen Schläger aufs Spielfeld, daß das gute Stück mit einem trockenen Knacks sein Leben ließ. So auf Boshaftes konzentriert, gab der teuflische Elmshorner natürlich seinen Aufschlag zum 4:5 ab. Krajicek ließ sich die Chance zum Satzausgleich nicht nehmen und prügelte sich zum 6:4 durch.
Das endgültige Aus kam für den immer vermehrter motzenden Michi im siebten Spiel des Entscheidungssatzes. 0:15, zweiter Aufschlag Stich — da machte in der Arena ein Zuschauer seinem stundenlang aufgestauten Frust mit einem Urschrei („Uaaargghaaah!“) Luft, was den sensiblen Michael doppelfehlern ließ. Der brüllte sofort in Schwarzeneggerscher Stimmgewalt ein wutentbranntes „Thank you!“ auf die Tribüne zurück und verlor das Spiel.
In der folgenden kurzen Süffelpause raubten ihm die von den holländischen Fans feixend intonierten „Thank you“-Chöre dann den allerletzten Nerv. Michi traf nun überhaupt nix mehr und durfte ein paar Minuten später dem zwanzigjährigen Richard Krajicek zum erstmaligen Einzug in ein Grand-Slam-Halbfinale gratulieren.
Nach dem Spiel klagte Stich über seine verkrampfte Schulter, die Abwesenheit seines Rückhandreturns und die Anwesenheit eines Schiedsrichters, mit dessen Entscheidungen er „nicht so ganz einverstanden“ gewesen war. „Ich hätte heute gewinnen müssen“, zeigt sich Michael trotzig, „ich war der bessere Spieler.“ Völlig unglücklich braucht er allerdings nicht zu sein, denn in der nächsten Ausgabe der Weltrangliste wird Stich wahrscheinlich das erste Mal auf Platz drei notiert sein. Becker wurde als Titelverteidiger durch die Drittrunden-Niederlage gegen John McEnroe auf Position sieben katapultiert, und Ivan Lendl verlor durch die Niederlage gegen Stefan Edberg im Viertelfinale auch zu viele Punkte, um weiter vor dem Elmshorner zu stehen.
Voll entbrannt ist der Kampf um die Nummer eins. Die kann nach langer Zeit mal wieder ein US-Bürger werden: Jim Courier, der nicht die mindeste Mühe hatte, den Israeli Amos Mansdorf aus dem Turnier zu befördern. Sollte Courier die Australian Open gewinnen, könnte er neuer Spitzenreiter der Weltrangliste werden. Vorausgesetzt, die bisherige Nummer eins, der Schwede Stefan Edberg, verliert am Freitag sein Halbfinalspiel gegen Wayne Ferreira.
Der südafrikanische Tennismutant aus der neuen Musterkollektion von Aufschlagriesen stürzte am gestrigen Abend die 16.000 im Flinders Park in tiefe Trauer, als er dem hilflosen John McEnroe beim 6:4, 6:4, 6:4 keine Chance ließ.
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