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Nicaraguas Armee schlägt gewagte Kapriolen

Auf dem Weg zum Frieden: Bis Mitte Februar sollen rechtsgerichtete „Recontras“ unter internationaler Aufsicht entwaffnet werden/ Abkommen auch zwischen Regierung und ehemaligen sandinistischen Soldaten/ Entpolitisierung der Armee  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Im heutigen Nicaragua scheint politisch nichts mehr unmöglich zu sein: Armeechef General Humberto Ortega, lange Jahre der oberste Widersacher der von den USA ausgerüsteten Contras, dekorierte letzte Woche den Militärattache Washingtons mit der höchsten Auszeichnung der sandinistischen Armee. Und gleichzeitig unterzeichnete Innenminister Carlos Hurtado mit den sogenannten „Recontras“ — neuerlich bewaffneten Gruppen ehemaliger Contras — ein Abkommen, durch das einige ihrer Anführer zu lokalen Chefs der Nationalpolizei werden. Die wirtschaftliche Zwangslage und die junge Freundschaft zum Geldgeber USA zwingen Regierung und Armee zu den gewagtesten Kapriolen.

Seit einigen Tagen sammeln sich Gruppen von Recontras in der Gemeinde Tomatoya, rund 180Kilometer nördlich von Managua. Bis Mitte Februar sollen die rechtsgerichteten Aufständischen unter internationaler Aufsicht ihre Waffen abgeben. Der Preis: in ihren Siedlungsgebieten werden ehemalige Contras in die Polizei aufgenommen, und in einigen Gemeinden dürfen sie sogar den Chef der lokalen Sicherheitskräfte stellen. Schon jetzt ist in der Nordregion Matagalpa/Jinotega jeder vierte Polizist ein Ex-Contra. Die Regierung konnte letzte Woche auch mit den sogenannten „Recompas“ — ehemaligen sandinistischen Soldaten, die sich von Recontras bedroht fühlten und sich zum Selbstschutz organisierten — ein Abkommen schließen und die Entwaffnung mehrerer Einheiten aushandeln. Doch im Vorfeld der Entwaffnung kam es am Dienstag in der Nordregion zu heftigen Kämpfen zwischen Recontras und Recompas.

Kaffeernte wegen Kämpfen in Gefahr

Über Vermittlung von Kardinal Obando y Bravo setzten sich Regierungsvertreter letzte Woche sogar mit „El Indomable“ (der Unbezähmbare) an einen Tisch. Der Recontra- Chef operiert unabhängig vom vereinigten Generalstab der irregulären Truppen und wird für die Mehrzahl der Attacken auf Genossenschaften und Morde an sandinistischen Aktivisten verantwortlich gemacht. Im Rahmen einer Weihnachtsamnestie wurden aber alle Strafverfahren gegen ihn eingestellt. El Indomable drohte mit weiteren Anschlägen, falls die Regierung seinen Forderungen nicht nachkomme: den Abzug der Armee aus dem Norden und die Absetzung von Humberto Ortega.

Die Recontras, so versichert eine glaubwürdige Quelle, seien nicht nur durch gutes Zureden und politische Konzessionen zur Waffenniederlegung bewogen worden, sondern auch durch handfeste wirtschaftliche Geschenke: Jedem Anführer sollen 10.000 US-Dollar, ein Haus und ein Auto versprochen worden sein, jedem Kämpfer 200 Dollar für sein Gewehr. Diese ökonomische Lösung sei billiger als die militärische. Denn allein eine Flugstunde im Helikopter koste die Armee 1.000 Dollar, zwei Wochen Einsatz der Infanterietruppen eine halbe Million.

Außerdem drängt die Zeit: In Jinotega und Matagalpa, der wichtigsten Kaffeeanbauzone Nicaraguas, steht der Höhepunkt der Ernte bevor. Vor wenigen Tagen schlug der Chef des Nationalen Kaffee-Rates Alarm: Nicht weniger als 58Prozent der gesamten Kaffee-Ernte seien gefährdet, wenn die Kämpfe nicht beendet würden. Die Erntearbeiter verweigern den Einsatz auf Plantagen in Zonen, wo Recontras oder Recompas operieren. Für die vom Kaffee-Export abhängige Wirtschaft Nicaraguas droht bei heutigen Preisen ein Verlust von über 30 Millionen Dollar. Für die prekäre Wirtschaft des Agrarlandes eine Katastrophe.

Konflikt um eine Ordensverleihung

Armeechef Humberto Ortega wird heute von seinen eigenen Parteifreunden noch schärfer attackiert als von seinen Erzfeinden, den Contras. Als bekannt wurde, daß er dem scheidenden Militärattache an der US- Botschaft, Oberstleutnant Denis Quinn, die goldene Camilo-Ortega- Medaille an die Brust geheftet hatte, liefen bei den lokalen Radios die Telefone heiß: Träger des Ordens und Angehörige von verdienten Soldaten, denen das Ehrenzeichen posthum verliehen worden war, klagten über die skandalöse Entweihung der revolutionären Auszeichnung. Camilo Ortega, der jüngste der Ortega- Brüder, war 1979 im Volksaufstand gegen den Diktator Somoza gefallen. Den Orden hatten bisher außer sandinistischen Kämpfern auch schon zwanzig Militärattaches bekommen. Die Dekorierung des US-Offiziers war jedoch dem Großteil der Parteibasis zuviel der Anbiederung an den ehemaligen Aggressor. Schließlich hatte die US-Regierung im vergangenen Jahrzehnt die Contras aufgebaut, angeleitet und jahrelang teils offen, teils verdeckt finanziert. Von ihrer Botschaft in Managua aus wurde die interne Front der Contras koordiniert. Auch Luis Carrion, Mitglied des sandinistischen Nationaldirektoriums, kritisierte den ehemaligen Kollegen Humberto Ortega: „Die Ordensverleihung war ein politischer Fehler der Armee.“ Der General wies Montag in einer Pressekonferenz die Kritik der „Linksextremisten“ zurück: „Oberstleutnant Quinn lagen revanchistische Haltungen fern, und er verhinderte mit seinen objektiven Berichten, daß sich unsere Situation noch verschlimmerte.“ Ortegas Politik der Entpolitisierung der Armee, die nur aus verfassungsrechtlichen Gründen noch sandinistisch genannt wird, trägt ihre Früchte. Bei einem Blitzbesuch in Managua forderte US-Außenminister Baker zwar eine „professionelle und unparteiische Polizei“, sparte aber mit Kritik an der Armee. Was er unter unparteiischer Polizei versteht, kann man ahnen. Denn es dürfte kein Zufall sein, daß die Aufnahme von Contra-Chefs in die Polizei unmittelbar nach Bakers Besuch bekanntgegeben wurde.

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