MIT SCHÖNEN WORTEN AUF DU UND DU II: Treuhand „rekonstruiert“

■ Statt „Abwicklung“ der Planwirtschaft Wiederaufbau?

Berlin (taz) — „Abgewickelt“ wird ab sofort nicht mehr in der Treuhandanstalt. Das dem Begriff zugehörige Direktorat, das nach Treuhand-Definition „für die oft mit Massenentlassungen verbundene Umstrukturierung ehemaliger ostdeutscher Staatsbetriebe“ zuständig ist, sollte auf Wunsch seines Leiters Ludwig M. Tränkner freundlicher bezeichnet werden (s. taz 8./9.1.92). Aus den 1.600 Zuschriften wählte sich Tränkner jetzt „Rekonstruktion“ für seine neue Visitenkarte. Dem Erfinder will er dafür 500 Mark an diejenige von drei Personen zahlen, die als erste mit dieser Idee postalisch rüberkam. „Rekonstruktion“? Beschäftigt sich die Treuhand jetzt also mit dem Wiederaufbau der ostdeutschen Staatsbetriebe? Oder nur mit der Rekonstruktion der abgewickelten Arbeitsplätze?

Die taz-Wirtschaftsredaktion wollte bei der Belohnung kreativen Erfindergeistes keinesfalls zurückstehen und hatte ebenfalls 500 Mark der-/demjenigen versprochen, die „für die häßliche Tätigkeit des Abwickelns einen glaubwürdig-positiven Begriff findet, der nicht innerhalb eines Monats als Euphemismus enttarnt ist“. Doch die „Rekonstruktion“ der alten Strukturen können wir selbst dann nicht positiv finden, wenn wir unterstellen, daß sich das Rekonstruieren auf die Strukturen der Zeit vor Gründung der DDR beziehen sollte, etwa auf die Wiederbelebung der IG-Farben aus dem Chemiestandort Leuna. Oder sind gar frühkapitalistische Verhältnisse gemeint?

Die taz-Leser waren mit ihren zahlreichen Vorschlägen deutlich vorwärtsgewandter als die Rekonstrukteure der 1.600 Treuhand- Fans: Einer plädierte für „Wirtschaftsstrukturmodernisierung“. Lieber Leser, haben Sie noch nie den Film „Moderne Zeiten“ von Charlie Chaplin gesehen? „Neutral und emotionslos“ schlug ein anderer „Strukturanpassung“ vor: „Das Wort selbst bezeichnet einen Vorgang, über dessen Charakter es nichts weiter vermittelt, und ein Resultat desselben, das von den Betroffenen erst positiv oder negativ bedeutet werden wird“, erläutert er selbst, warum er nach unserer Definition ebenfalls aus dem Rennen ausscheiden muß.

„Lösungen“, ein weiterer Vorschlag, dürfte spätestens seit der Wannseekonferenz von 1942 deutlich wie kein anderer unter das Euphemismus-Verdikt fallen. Aus Witzenhausen erreichte uns schließlich der am meisten zugespitzte Begriff: „Abgreifen“. Klar und deutlich sollte die Arbeitsplatzvernichtung in den Vordergrund der Tätigkeitsbeschreibung des Treuhanddirektors gerückt werden. Jedoch: Im Abwicklungsdirektorat werden — im Treuhandabteilungsvergleich — weniger Arbeitsplätze abgewickelt als in anderen. Donata Riedel