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Unsere Sprache fordert ein Warum

Raul Hilberg, weltbekannter Historiker des Holocaust, referierte als Gast des ÖTV-Bildungszentrums in Berlin über die Bedeutung des Antisemitismus für die Ideologie der Täter. Mit ihm sprachen  ■ ANITA KUGLER UND CHRISTIAN SEMLER

taz: Herr Hilberg, Ihr monomentales Werk über die Vernichtung des europäischen Judentums erschien in Deutschland 1982, zwanzig Jahre nach der amerikanischen Erstauflage in einem kleinen Verlag und blieb weitgehend unbeachtet. Heute sind Ihre Arbeiten bei uns weit verbreitet und Sie gelten in Deutschland als der bedeutendste Historiker des Holocaust. Hat sich etwas verändert in der Einstellung der Deutschen zur Nazi- Vergangenheit und wenn ja, was?

Raul Hilberg: Schwer zu sagen. Vielleicht gibt es einen Wandel im deutschen Selbstbewußtsein. Vor 30 Jahren hätte ich hier keinen Vortrag halten können, die Vergangenheit war von Tabus umstellt. Man konnte nicht reden. Vielleicht handelte es sich in den drei vergangenen Jahrzehnten um den Versuch neuer Generationen, eine Wahrheit zu entdecken, die ihnen von den Vätern und Großvätern vorenthalten worden ist. Sie mußten selbst herausfinden, woher sie kamen, wer sie sind und wohin sie gehen. Es gibt hier eine andere Art von Neugierde als in Frankreich oder in Amerika. Was ist das deutsche Volk, was seine Geschichte und Kultur? Was war mit dieser Kultur möglich und was wird künftig mit ihr möglich sein? Eine neue Generation findet jetzt Zeit und Gelegenheit, sich in diese Frage zu vertiefen.

Anläßlich der Öffnung der Stasi-Akten für die „Betroffenen“ und der Aufdeckung vieler Spitzel des DDR- Geheimdienstes ist eine erbitterte Auseinandersetzung über die „Verstrickung“ der DDR-Deutschen in das realsozialistische System entbrannt. Kann uns das Studium der Nazi-Zeit für diese Debatte etwas lehren? Welche Kontinuitäten sehen Sie, welche Brüche?.

Nun ja. Es gibt immer historische Kontinuitäten, auch von der jüngsten zur allerjüngsten deutschen Vergangenheit. Schon das Wort „Stasi“ ist dem Wort „Gestapo“ nicht unähnlich. Ich war in der Ex-DDR und habe mich mit einem ehemaligen Major der Volkspolizei unterhalten. Er war fünfzig und seine Hauptsorge war, daß seine Karriere zuende ist und es für ihn keine Verwendung mehr gibt. Ich fragte ihn, was er 1968, beim Einmarsch in die CSFR getan habe — er gehörte damals der Polizeibereitschaft an. Selbstverständlich, beeilte er sich zu antworten, sei er nur diesseits der Grenze im Einsatz gewesen. Dieser Mann erzählte mir ein interessantes biographisches Detail. Als er schon Polizist war, bekam er häufig die bitteren Klagen seines Vaters, eines Oberschlesiers gegen die Kommunisten zu hören, die er für den Verlust seiner Heimat und seines Eigentums verantwortlich machte. Schließlich reichte es dem Sohn und er konfrontierte den Vater mit der Tatsache, daß sein Besitz in Schlesien aus einem arisierten Laden bestanden hatte. Er blieb, sagte er mir, beim Polizeiapparat, weil er sich gegen seinen Vater aufgelehnt hatte. Jetzt ist ihm diese einstige Auflehnung zum Verhängnis geworden. Täter und Opfer — eine interessante Geschichte.

Stehen die Menschen in der Ex- DDR stärker in der spezifischen deutschen geschichtlichen Kontinuität als die Einwohner der „alten BRD“?

Wie gesagt, es gibt immer Kontinuitäten, aber die schauen aus der Ferne, von Amerika her gesehen anders aus. Ich war einmal vor vielen Jahren in Ostberlin, wollte nur mal schauen, wie's in der Karl-Marx-Allee aussieht. Danach baten mich Freunde in Westberlin — sie konnten damals noch nicht „rüber“ — doch die Zustände und Menschen in beiden Teilen der Stadt zu vergleichen. Ich antwortete, wenn man so rüberfliegt, aus den USA, scheint es einem, daß es die gleiche Stadt ist. Da waren die Freunde in Westberlin ganz bestürzt. Sie konnten nicht glauben, daß es keinen so grundlegenden Unterschied machte, ob man mit einem Ost- oder Westdeutschen sprach. Der Charakter eines Volkes ändert sich nicht über Nacht. Jetzt, nach der Vereinigung kann ich als Fremder nicht sagen, wer zwei Jahre vorher eine Funktion im Westen und wer eine im Osten hatte. Wenn ich jetzt zum Beispiel in ein Archiv gehe und der eine meiner Gesprächspartner kommt aus dem Osten, der andere aus dem Westen, weiß ich gar nicht, wer welcher ist. So ähnlich sind die Leute. Aus der Ferne.

In welcher Weise ähnlich?

Für einen Fremden ähnlich. Außer wenn sich jemand einer Terminologie bedient, die sofort erkennbar ist. Etwa „die Faschisten haben die Sowjetunion angegegriffen“. Dann ist es schon klar.

Wie steht es denn nun mit den Konstanten im Verhalten der Deutschen?

Es gibt ganz unterschiedliche Formen. Sprechen wir von den Gewohnheiten der deutschen Bürokratie. Hier hat sich sehr wenig verändert.Ich meine nicht das Rabiate der Bürokratie, sondern ihre Art, zu funktionieren. Man braucht doch nur in eine juristische Buchhandlung zu gehen. Sehen Sie sich die Gesetzessammlungen an, die Verordnungen, die Erklärungen und Kommentare. Da haben Sie die typisch deutsche Bürokratie — unverwechselbar, mit keinem Land vergleichbar, vor allem nicht mit der amerikanischen Rechtstradition.

Meinen Sie den Vollständigkeitswahn?

Nehmen wir ein Beispiel. Es kam vor, daß Leute, die im zweiten Weltkrieg Juden umbrachten, von deutschen Gerichten wegen Mordes belangt wurden. Die Opfer waren Juden, der Vorgang war Judenvernichtung, aber eben privat und deswegen wurde der Täter als „Mörder“ angeklagt. Das war also Mord, wie ein Raubmord oder ein Mord aus Eifersucht. Wenn es sich nicht um politische Delikte handelte, wurde in der Regel „normal“ judiziert. Und das in der Nazi-Zeit.

Ein anderes Beispiel: das Wort „sinngemäß“. Ich habe vergeblich versucht, diesen Begriff ins Englische zu übersetzen. Man kann es nicht. Die amerikanische Rechtsordnung kennt ihn nicht. Gemeint ist, daß Gesetze auch auf Sachverhalte angewandt werden können, die genau genommen auf die gesetzlichen Tatbestände nicht passen. Sie sind ähnlich und deswegen wird das Gesetz eben „sinngemäß“ angewandt. Zum Beispiel: Das „Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 sagt, daß ein Jude kein Professor sein kann, daß er kein Beamter sein kann, außer er wäre ein Frontsoldat oder schon am 1. August 1914 beschäftigt gewesen. Wie soll man mit „nichtarischen“ Studenten umgehen, die Empfänger von Stipendien sind? „Sinngemäß“ wird das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums angewendet, er wird wie ein Beamter behandelt. (Lacht) So der Rektor der Universiät Freiburg Martin Heidegger. Immer streng „sinngemäß“ rechtsstaatlich. Hat man nach 1945 dieses Prinzip fallengelassen? Es gibt Hunderte solcher Beispiele. Sie sind tief in der deutschen Kultur verwurzelt.

In ihren Vorträgen und Schriften sagen Sie, daß die Nazis keinen Karl Marx hatten, keine Ideologen. Kein Mensch studierte die Rassentheoretiker. Rosenberg sei beim Nürnberger Prozeß ziemlich fertig gewesen, weil keiner der Mitangeklagten je sein Buch „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ gelesen hatte. Sie sagten auch, daß die Nazis überhaupt keine antisemitische Ideologie brauchten, um die Juden zu vernichten. Wie antisemitisch waren denn die Nazis?

Natürlich gab es Antisemiten. Sie fragen nach Nazis, ich aber spreche von den Tätern, von Bürokraten, von Beamten, von Generälen, ich spreche von verschiedensten Leuten. Ob sie nun Parteigenossen waren oder nicht, diese Leute beschrieben sich nicht als Antisemiten. Wissen Sie, wenn sie im „Schriftgut“ zwischen 1933 und 1945 lesen, dann merken Sie, wie wenig von Antisemitismus gesprochen wird. Franzosen oder Belgier sagen: Ja, ich war Antisemit — sie wollen damit nachträglich z.B. ihre Kollaboration legitimieren. Der Admiral Horty, der starke Mann Ungarns in der Zwischenkriegszeit, erklärte, ich lasse mir doch von dem Hitler nicht was neues einreden, ich war schon immer Antisemit, schon vor dem Ersten Weltkrieg, ich brauche nicht belehrt zu werden. Diese Bekenntnisse dienten aber seiner Absicht, nicht so scharf gegen die Juden vorzugehen. Man braucht ihm keine Befehle zu geben, denn er weiß ja, was für das ungarische Volk gut ist und was nicht gut ist. Und er weiß es inbesonders, weil er das Judentum klar erkennt — und zwar als Antisemit — er weiß was für eine Rolle das Judentum in Ungarn spielt, es wäre zu einflußreich etc. Aber, so sagte er auch, wenn es darum geht, ob irgendein Geschäft in jüdischen Händen ist oder in den Händen von Pfeilkreuzlern, die mit der SS liebäugeln, dann würde er lieber die Juden haben. Also so ein Antisemitismus war für die Machthaber im Dritten Reich nicht willkommen.

Was ist der ideologische Kitt für die Machteliten des Dritten Reiches gewesen, wenn es nicht der Antisemitismus war?

Es gab immer Propaganda, aber man nahm sie nicht besonders ernst. Sie suchen nach einer Idee — es gab sie nicht. Sie suchen nach kanonischen Texten, aber es gibt nichts, wo man nachschlug, trotz der Parteiprogramme und „Mein Kampf“. Kein Marx, kein Lenin. Es gab Richtlinien, es gab Erwartungen, es gab Gefühle, es gab, was man Volksbewußtsein, Volksempfinden nannte. Nicht aber eine Theologie.

Wie erklären Sie dann die verbrecherische ideologische Dynamik des Regimes?

Nun ja, es war eine Dynamik. Lassen wir das Wort „verbrecherisch“ aus, wir brauchen es nicht. Es war eine Dynamik, aber wo immer und wenn immer man sie definieren mußte, hatte man Schwierigkeiten. Nicht nur bei Juden übrigens. Es gab einen General Friderici in Rußland, der war ein Befehlshaber in der Ukraine. Er stand vor der Frage, was sind denn die Ukrainer? Da sagte er, die Ukrainer sind Arier und nicht Slawen. Na ja, Sie sagen, das ist doch ein Blödsinn, denn die Sprache ist slawisch. Aber Friderici sagte, die Ukrainer wären Arier. Er konnte natürlich nicht sagen, sie wären Arier, so wie die Deutschen, sondern er mußte noch hinzufügen, es wären nicht „gut entwickelte Arier“. (lacht) Also, wenn immer sie theoretisieren mußten, standen sie vor Problemen, die sie gar nicht lösen konnten.

Franz Leopold Neumann hat in seinem „Behemont“ auch davon gesprochen, daß die Deutschen nicht ausgeprägt antisemitisch waren. Er fügte aber hinzu: Um so schlimmer! Argumentieren Sie in dieser Tradition?

Nun ja, ich war ja ein Schüler von Neumann. Ich selbst war nicht so vertraut mit Deutschland wie Neumann. Aber meine Erinnerungen als Kind, meine Erlebnisse als Soldat der amerikanischen Armee, meine Studien — all das hat mich davon überzeugt, daß Neumann recht gehabt hat. Man sagt immer, wenn es ein antisemitisches Volk gibt, dann sind es die Polen, auch ein, wenngleich unter Juden, weit verbreiteter Blödsinn. In dem alltäglichen, sehr engen Zusammenleben von Polen und Juden gab es Agressionen, die vor allem vom polnischen Pöbel ausgingen — das ist damit gemeint.

Sie sagen, daß es für die Täter gar nicht notwendig war, den Völkermord mit einer Weltanschauung zu begründen. Warum, entschuldigen Sie bitte die Hilflosigkeit der Frage, haben dann die Nazis die Juden ermordet?

Man hat nicht viel Rechtfertigung versucht, ich glaube, die ganze Geheimhaltung war dazu da, daß man nicht alles jeden Tag neu erklären, sich nicht ständig vor Augen halten mußte. Man sagte sich, wir müssen das machen. Wenn wir es nicht tun, wenn wir diese Scheußlichkeiten nicht durchstehen, werden unsere Söhne sie durchstehen müssen. Das haben SS-Leute in Rußland gesagt, die nur ungern an den Erschießungskommandos teilnahmen. Weiter gingen die Überlegungen der Täter nicht.

Sie fragen, warum die Deutschen die Juden getötet haben. Ich kann diese Frage nicht beantworten, obwohl sie mich mein Leben lang beschäftigt hat. Wenn ich nach Deutschland komme, stelle ich meinen Historiker-Kollegen die gleiche Frage. Sie kennen Deutschland und die Dewutschen besser als ich und dennoch haben auch sie keine Antwort. Warum nicht?

Wie beurteilen Sie die u.a. von Götz Aly vertretene These, der Judenmord sei in der Logik der Nazis ein rationales Instrument der Bevölkerungspolitik gewesen?

All diese Thesen sind nicht überzeugend. Gleichgültig, ob nun ökonomische, psychologische oder politische Erklärungen herangezogen werden. Die Juden waren in Deutschland weitgehend assimiliert. Schon 1911 fragte sich Felix Teilhaber, ein jüdischer Arzt, in einer interessanten Studie, ob das deutsche Judentum zum Untergang verurteilt sei. 1911! Aber er meinte mit Untergang die Auflösung des jüdischen Volkes in das deutsche, in das preussische. Gleichlaufend mit dem Prozeß der Assimilation stellte er einen Geburtenrückgang bei den deutschen Juden fest. Wenn man die Juden hätte loswerden wollen, hätte man überhaupt nichts tun müssen. Das Problem hätte sich in fünfzig, spätestens hundert Jahren von selbst erledigt.

Wenn es so ist, das kein Historiker, überhaupt niemand erklären kann, warum die Juden umgebracht wurden, empfinden Sie dann nicht Ihr Lebenswerk, die akribische Beschreibung der Etappen von Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der Juden, nicht als vergeblich?

Es ist ungenügend aus einem einfachen Grunde. Unsere Sprache fordert ein „darum“. Das ist schon von den Griechen überliefert worden. Sie fordert eine Begründung. Jedes Ereignis hat irgendeinen Grund. Und wenn wir es nicht erklären können, dann erfinden wir einen Grund, damit einer da ist. Diese erfundenen Gründe — ideologische, ökonomische — erklären allenfalls einen kleinen Teil der Sache. Aber das genügt nicht. Und da habe ich mich entschlossen, nicht weil ich daran nicht interessiert bin, sondern weil ich es eben nicht zustande bringe, daß es mir genügen muß, die Sache zu beschreiben. Im „Wie“ steckt ein Teil der Antwort auf die Frage „Warum“. Wenn ich nicht erklären kann, was dahinter steckt, weil dieses „dahinter“ tief im Hirn des Täters steckt, so tief, daß er selbst vielleicht gar nicht bewußt handelte, muß ich mich damit begnügen, zu beschreiben. Wie es von einem Gesetz zu einer Durchführungsverordnung — zu einem ausdrücklichen schriftlichen Befehl — zu einem mündlichen Befehl und zuletzt zu einer Verständigung kam. Denn so ging es. Es geht nicht nur um den Prozeß, der von der Definition „Wer ist Jude“ über die Isolierung hin zum Ghetto, zur Enteignung, zum Töten führte. Es geht auch um die Entwicklung des Instrumentariums: Von Bestimmungen des Familienrechts zu Durchführungsverordnungen, die das Gesetz nicht mehr durchführen, zu Befehlen, die zwar klar waren, aber weniger und weniger zu erklären sind. Wie zum Beispiel Görings Brief an Heydrich von 31. Juli 1941, in dem er Heydrich beauftragt, die Juden „einer Endlösung zuzuführen“. Wie, weiß man noch nicht. Was für eine Befehlsweise ist das, wenn erst der Befehlsempfänger sich entscheidet, was das für ein Befehl ist? Und dann geht es nur mündlich. So wurde der Bau eines Vernichtungslagers auf einer Parkbank in Lublin angeordnet. Einen schriftlichen Befehl gab es nicht. Und zuletzt, wenn man die Reichsbahnbeamten fragt: Wer hat denn die Sonderzüge befohlen, dann blickt der Verantwortliche ratlos in die Runde und sagt: Das war kein Befehl, wir stellten einfach die Züge hin, wenn sie benötig wurden. Das war die Funktion der Reichsbahn, ihre Rolle als Transportsystem. Das kann man im Kleinen klar studieren, bei einer Besprechung der Generalbetriebsleitung Ost in Berlin zum Beispiel. Es werden befördert Hitlerjungen, Ostarbeiter, Juden, wo immer auch das Ziel für jeden sein mag. Für den einen ist das Ziel ein Erholungsheim, für den anderen ist das Ziel eine Arbeitsstätte und für den dritten ist es eine Gaskammer in Auschwitz. Aber es wird alles in der selben Konferenz erledigt. Ganz normal. Ohne Abweichung. So ging es!

Diese Konferenzen und Anordnungen waren also nicht geheim?

Erst beim Studium der Reichsbahntransporte ist mir aufgegangen, daß die beste Tarnung darin besteht, keine besonderen Vorkehrungen zu treffen. Die Fahrplananordnungen für die Transporte von Juden in die Vernichtungslager hatten nicht einmal den Stempel „Geheim“. Sie waren nur für den Dienstgebrauch. Höchstens! Die Sachen lagen fast offen auf den Tischen herum — und das war die beste Tarnung. Wenn ich heute den Geheimdienst täuschen wollte, würde ich nur einen Zettel offen auf dem Tisch liegen lassen. Keiner würde ihn dort suchen.

Interessieren Sie die Lebensläufe der Täter? Kann das ein Schlüssel für die Frage „warum“ sein?

Ich bin sehr an diesen Lebensläufen interessiert. Im Herbst will ich ein neues Buch mit dem Titel, „Täter, Opfer..“, den dritten Begriff haben wir noch nicht übersetzt, er könnte annähernd mit „Zuschauer“ wiedergegeben werden, veröffentlichen. Als ich über die Täter schrieb, also über einzelne, oder Gruppen, oder in Portraits, da war ich sehr interessiert, was für eine Art von Laufbahn diese Leute hinter sich gebracht hatten, ob sie verheiratet waren, Kinder hatten. Mich interessierten die Personalakten der Täter. In diesen Personalakten, sei es bei der Polizei, oder beim Heer, finden sich immer Beurteilungen wie „Familienverhältnisse geordnet“. Das bedeutet eine stabile Ehe, Kinder, der Täter hat keine großen Schulden und keine großen Probleme und die Frau regt sich nicht auf und er ist ein gediegener Mensch. So etwas kann man oft lesen, bei der Mehrheit der Täter. Hier und da sieht man eine Abweichung. Man begegnet z.B. „Idealisten“. wie Max Thomas, SS-Brigadeführer, Befehlshaber der Sicherheitspolizei in der Ukraine. Der war Arzt und dazu noch ein guter, hat aber seine Praxis geschlossen um vollständig seiner Lieblingstätigkeit im Sicherheitsdienst und Sicherheitspolizei nachgehen zu können. Die Akten erweisen, daß die Täter aus allen sozialen Schichten kommen, die meisten aus geordneten Verhältnissen. Man kann sie auf jeder Straße treffen. Der Täter ist ein Mensch wie jeder andere auch.

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