: El Salvador will Vergangenheit bewältigen
Das Parlament verabschiedet eine Amnestie für Verbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg/ Doch einige monströse Fälle wie der Mord an Erzbischof Romero werden ausgenommen/ Menschenrechtsgruppen reagieren gespalten ■ Aus San Salvador Th. Schmid
Wenn El Salvador im letzten Jahrzehnt ein Rechtsstaat gewesen wäre, wie von interessierter Seite immer wieder behauptet, wäre heute alles kein Problem. Verbrechen würden gesetzlich geahndet, die Verantwortlichen säßen hinter Schloß und Riegel. Dem aber ist nicht so. Das kleinste mittelamerikanische Land sieht sich vor einem Problem, wie es sich in Chile, Uruguay und Argentinien nach dem Fall der Militärdiktatur gestellt hat. Sollen die Verantwortlichen für tausendfachen Mord, für Verschleppung, für Folter und für Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden? Oder soll um der nationalen Aussöhnung willen ein Schlußstrich gezogen werden? Zwar werden in El Salvador schon seit bald einer Dekade Präsident und Parlament demokratisch gewählt, doch die Militärs sind wie in den allermeisten Ländern Lateinamerikas gewissermaßen eine Kaste der Unberührbaren. Wenn der Friedensvertrag, den Guerilla und Regierung vor zehn Tagen in Mexiko unterschrieben haben, tatsächlich nach Geist und Buchstaben umgesetzt wird, wäre dem ein Ende gesetzt. Die militärische Gewalt wäre der zivilen nominell und faktisch untergeordnet.
Noch ist es nicht so weit. Doch ist der Frieden eine bereits beschlossene Sache und soll am 1.Februar förmlich in Kraft treten. Damit stellte sich auch die Frage einer Amnestie — und sie wurde bereits gelöst. Im Eiltempo. Mit einem Kompromiß.
Während die in der „Befreiungsfront Farabundo Marti“ (FMLN) zusammengeschlossene Guerilla wenn schon nicht die Bestrafung, so doch die Aufklärung aller Verbrechen der jüngsten Vergangenheit forderte, so bestanden die Militärs auf dem „Olvido y perdon“, dem Vergessen und Vergeben.
Nach Angaben zuverlässiger Quellen aus der Opposition drohten die Generäle am Donnerstag mit einem Putsch, um ihre Position durchzusetzen. Doch sind sie offenbar von der US-Botschaft zur Raison gerufen worden. Und so beschloß denn das Parlament einstimmig, den von der „Copaz“, der Friedenskommission, in der alle parlamentarischen Parteien, die Regierung und die FMLN vertreten sind, ausgearbeiteten Kompromiß.
Das am Donnerstag kurz vor Mitternacht (Ortszeit) verabschiedete „Gesetz zur nationalen Aussöhnung“ sieht eine Amnestie für alle Delikte im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen der letzten zwölf Jahre vor. Ausgenommen von dieser Regelung sind Entführung und diejenigen schweren Gewaltverbrechen nach dem 1.Januar 1980, die nach Ansicht der „Kommission für die Wahrheit“ wegen der „tiefen Spuren, die sie in der Gesellschaft hinterlassen haben“, dringend der öffentlichen Aufklärung bedürften. Ebenfalls von einer Amnestie ausgenommen sind Straftaten, über die ein Schwurgericht bereits ein Urteil gefällt hat.
Das heißt, der buchstäblich alltägliche tödliche Terror der letzten zwölf Jahre würde so wenig gesühnt wie bestimmte Mordanschläge und Hinrichtungen seitens der Guerilla. Doch können zumindest die Verantwortlichen für den Mord an Erzbischof Romero, an den über 1.000 Bauern von Mozote und an den über 300 Flüchtlingen am Rio Sumpul nicht mit Straffreiheit rechnen. Daß die dreiköpfige „Kommission der Wahrheit“, die sich aus dem kolumbianischen Ex-Präsidenten Belisario Betancur, dem früheren venezulanischen Außenminister Reynaldo Figueredo und dem US-amerikanischen Juristen Thomas Burgenthal zusammensetzt, hier auf Aufklärung besteht, gilt als sicher. Und auch der Mord an den sechs Jesuiten vom November 1989 bleibt, vorerst, nicht ungesühnt. Ein Schwurgericht hatte bereits im vergangenen Oktober Oberst Alfredo Benavides und Hauptmann Yusshy Rene Mendoza in diesem Fall für schuldig erklärt. Am Donnerstag, wenige Stunden vor der Verabschiedung des Gesetzes über die Amnestie, wurden sie zur Höchststrafe von 30 Jahren verurteilt.
Doch daß die beiden Offiziere drei Jahrzehnte einsitzen, ist unwahrscheinlich. Denn „sechs Monate, nachdem der Schlußbericht der ,Kommission der Wahrheit‘ vorliegt“, so heißt es im nun verabschiedeten Gesetz zur nationalen Aussöhnung, „kann das Parlament in diesen Fällen beschließen, was es für angebracht hält“. Und im Parlament verfügt die rechtsextreme ARENA zusammen mit der PCN, der traditionellen Partei der Militärs, über eine bequeme Mehrheit. Kaum jemand bezweifelt, daß die beiden Parteien davon Gebrauch machen werden, zumal zumindest Oberst Benavides über die wahren Drahtzieher der Ermordung Romeros auspacken könnte. Nicht nur der US-Senator Moakley hält inzwischen für offensichtlich, daß hinter der Ermordung der sechs Jesuiten, unter ihnen der renommierte Rektor der zentralamerikanischen Universität Ignacio Ellacuria, höhere Schergen als der Oberst verwickelt sind. Immerhin war Ellacuria eine zentrale Figur bei den Vermittlungsbemühungen zwischen den verfeindeten Parteien.
In Kreisen, die sich in El Salvador professionell mit Menschenrechten beschäftigen, stößt das neue Gesetz auf unterschiedliche Reaktionen. Maria Julia Hernandez, Leiterin der episkopalen Rechtshilfestelle „Tutela Legal“ ist empört. Für sie ist das Gesetz eine Schande. Sie befürchtet sogar, daß nunmehr der ganze Friedensprozeß auf einem hohlen Fundament steht, daß die Straffreiheit gewissen Leuten Mut macht. Immerhin sind nach dem Friedensabkommen schon wieder Opfer von Todesschwadronen aufgetaucht — verstümmelt, mit gefesselten Händen, verbundenen Augen, ohne Ausweise.
Bei der „Kommission für Menschenrecht“ (CDHES) ist die Unzufriedenheit verhaltener. Ja, man kann sogar mit dem Resultat leben. Noch einen Tag vor der Verabschiedung des Gesetzes jedoch hatte die Organisation festgestellt, daß es mitunter der Gerechtigkeit förderlich sei, wenn im Rahmen einer nationalen Versöhnung Delikte gegen den Staat amnestiert würden, doch könne der Staat nicht in einem Akt von Selbstamnestierung die von ihm zu verantwortenden Verbrechen ungesühnt lassen. Dies verbiete im übrigen auch die Verfassung.
Die Parlamentarier haben bei ihrem gesetzgeberischen Akt im übrigen nicht nur an die uniformierten Verantwortlichen für tausendfachen Mord gedacht, sondern auch an diejenigen, die wegen „Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung“ einsitzen oder gesucht werden. Als erste Exponenten dieser Vereinigung, die nun legalisiert werden soll, werden am 1.Februar diejenigen FMLN-Führer amnestiert, die — wie im Friedensabkommen von Mexiko vorgesehen — mit den Generälen schon seit Donnerstag in der Hauptstadt San Salvador Einzelheiten der Durchsetzung des Waffenstillstandes, der Trennung der Armeen und der Demobilisierung der Guerilla auf Raten aushandeln. Bislang fliegen sie noch in UNO-Hubschraubern von der Front zum VIP- Tower des ehemaligen Sheraton-Hotels. Gehen die Gespräche bis spät in die Nacht, dann gewähren die Botschafter von Venezuela, Mexiko, Kolumbien und Spanien den FMLN- Vertretern Schutz und fahren sie in ihre Residenzen.
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