Ein Marktplatz sucht seine Tradition

■ Auf dem Arkonaplatz zeugen auch heute noch Altberliner Straßenlaternen, nachgebildete Gewerbeschilder und Goldene Hausnummern von den Bemühungen des Ex-DDR-Bauprogramms

Mitte. Der Arkonaplatz, nur wenige hundert Meter hinter der ehemaligen Mauer in der Bernauer Straße, liegt ruhig da in diesen Tagen. Eine alte Frau führt ihren Rauhaardackel unter den 1883 in symmetrischen Reihen auf beiden Seiten des Platzes gepflanzten Bäumen Gassi. Während sein Blick höchstens bis zur zweiten Etage der meist sechsstöckigen Häuser rund um den Platz reicht, pinkelt er respektlos gegen einen der fast hundertjährigen Bäume. Einige Kinder spielen Fußball im Nieselregen vor ihrer Grundschule — der ältesten erhalten gebliebenen Gemeindeschule in Berlin (1865). Altberliner Straßenlaternen rund um den Platz, nachgebildete alte Gewerbeschilder und Goldene Hausnummern — verliehen an vorbildliche Hausgemeinschaften — sowie verschiedenfarbig gestaltete Fassaden zeugen noch heute von den Bemühungen des DDR-Bauprogramms.

Ein Bauzaun auf der anderen Seite des Platzes verwehrt den Zutritt zu einer brachliegenden Fläche, auf der eine seit Jahren geschlossene Bedürfnisanstalt aus dem Jahre 1905 ihr trauriges Dasein fristet. Bis Dezember letzten Jahres standen hier Baubaracken, die mit Abschluß der Rekonstruktionsarbeiten rund um den Arkonaplatz ihre Notwendigkeit verloren haben. Ein vergilbtes Plakat, das an das Holzhäuschen auf der Mitte des Platzes geheftet wurde, verkündet die Marktordnung für den Trödelmarkt, der hier an den Wochenenden seit Mai 1990 stattfand. Verlassen steht die Hütte da — seit Dezember letzten Jahres, als die Markterlaubnis nicht verlängert wurde.

Die vehementen Proteste von zwei anonymen Anwohnerinnen wegen Ruhestörung führten zur Schließung. Eine von den Organisatoren des Marktes kurzfristig durchgeführte Unterschriftensammlung brachte in den nur drei Tagen zwischen Weihnachten und Silvester 3.000 Unterschriften von AnwohnerInnen und MarktbesucherInnen zusammen, die sich — bisher leider ohne Erfolg — für die Fortführung des beliebten Trödelmarktes aussprachen. Ein Dringlichkeitsantrag bei der BVV wurde gestellt, doch bis zum heutigen Tag blieb die Zukunft des Marktes ungewiß.

Dabei war der Arkonaplatz, der am 22. November 1875 nach dem Kap auf der Insel Rügen benannt wurde, schon seit 1881 Marktplatz. Die Häuser mit »Außentoiletten und Kochstuben mit Gemeinschaftsbenutzung«, die zwischen 1875 und 1885 rund um das Areal entstanden, dienten den Arbeitern von Borsig und AEG als Schlafstätten.

In den zwanziger Jahren setzte sich der damalige Stadtgartendirektor Erwin Barth für die Wünsche der Einwohner nach einem Platz zum Erholen und Spielen ein. 1926 begannen Erwerbslose im Rahmen eines »Notstandsprogramms« einen Kinderspielplatz und ein Planschbecken zu errichten, Stauden wurden gepflanzt und Ruhezonen geschaffen. Schon im Mai 1927 konnte der repräsentative Platz in der Armeleutegegend eingeweiht werden. Die Freude der AnwohnerInnen dauerte jedoch nur wenige Jahre. 1941 wurde vor der Gemeindeschule ein Bunker errichtet und dort, wo das Planschbecken stand, ein Feuerlöschteich angelegt. Im Zweiten Weltkrieg wurden Tausende von Wohnungen rings um den Arkonaplatz durch die Bombardements zerstört.

Einem Erlaß zum Schutz der Bäume ist es zu verdanken, daß sich die AnwohnerInnen jetzt noch an den fast hundertjährigen Bäumen als Überbleibsel des ursprünglichen Platzes erfreuen können. »Im nationalen Aufbauwerk der 50er Jahre« wurde etwa die Hälfte der zerstörten Wohnstätten wiedererrichtet. Im Juni 1970 beschlossen dann die Volksvertreter, daß das Wohngebiet Arkonaplatz »völlig neue sozialistische Wohn- und Lebensverhältnisse« bekommen soll.

Die Reporter der 'Berliner Zeitung‘ sowie andere parteitreue Blätter waren immer an Ort und Stelle, wenn es darum ging, über den zügigen Fortgang der Bauarbeiten in »einem vom Kapitalismus hinterlassenen Berliner Altbaugebiet« zu berichten. Mitglieder des Politbüros und Sekretäre der SED-Bezirksleitung ließen es sich nicht nehmen, sich persönlich von der Verwirklichung des Wohnungsbauprogramms, dem »Kernstück des gesamten sozialistischen Programms«, zu überzeugen. Als dann Anfang 1984 »die zweimillionste nach dem VIII. Parteitag der SED in der DDR fertiggestellte Wohnung« übergeben wurde, war es Erich Honecker, der den Schlüssel dazu in der Hand hielt. Die Gedenktafel, die zu Ehren dieses hohen Besuches direkt über der goldenen Hausnummer angebracht wurde, ist längst entfernt worden. Bereitwillig und mit dem »Sie wissen schon«- Tonfall zeigt mir ein Passant auf meine Nachfrage hin die Swinemünder Straße 120, wo nur noch ein weißer Fleck über der Toreinfahrt von dem damaligen Ereignis zeugt.

Nicht nur die Ostberliner Zeitungen berichteten mit Begeisterung über den Arkonaplatz und seine Anwohner. Die Fleischerei Kayser in der Wolliner Straße, die sich seit 1934 in Familienbesitz befindet, inspirierte schon Egon Erwin Kisch in einer seiner Berliner Reportagen: »Schwer ist es für eine arme Gattin und Mutter, vorbeizugehen an einer brutalen Verlockung. Rinderbrüste räkeln sich ihr entgegen, Schweine stellen ihr ein Bein, die Schnauze streckt sich küßbereit vor, die Backe möchte gestreichelt sein.« Diese Zeiten kennt der jetzige Fleischermeister, der 56jährige Siegfried Kayser, Sohn von Fritz Kayser, der das Geschäft bis 1969 geführt hat, nur vom Erzählen. Viel hat sich seitdem und erst recht seit dem Fall der Mauer verändert: »Lag der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch zu DDR-Zeiten noch bei 102 Kilo jährlich, so ist er jetzt auf 85 Kilo zurückgegangen. Fisch und Käse gab es wenig, und so wurde eben viel Fleisch gegessen«, erklärt er. Obwohl die Rekonstruktion der Fleischerei schon zwei Jahre vor Übergabe der zweimillionsten Wohnung durch Honecker fertiggestellt wurde, »paßte es der Staatsführung gut in ihr ehrgeiziges Baukonzept, auch einem Fleischermeister die Hand zu schütteln, zumal die Handwerkspolitik fast am Boden lag«, erinnert sich der Metzger. Wenige Jahre später gehörte der Fleischermeister dem DDR-Komitee zum 750. Berlin-Jubiläum 1987 an. Für den Festumzug hatte er mit Hilfe von 30 Gesellen eine 22 Meter lange Salami produziert, die erst über den Alex getragen und dann verkauft wurde.

Die Zukunft des Arkonaplatzes ist noch ungeklärt. Frank Baumgart, Mitarbeiter im Grün- und Freiflächenamt, erklärte der taz, daß die Gestaltung des Platzes in Anlehnung an das historische Vorbild hauptsächlich eine Frage der Kosten sei. Der Abriß der Baubaracken falle zwar kostengünstiger als veranschlagt aus, aber die endgültige Finanzierung sei noch nicht geklärt. Die Gartendenkmalpflege habe auch noch nicht definitiv zugestimmt, ob nur der historische Rahmen wiederhergestellt oder detailtreu gebaut werden solle. Barbara Bollwahn