Studi-Forschung

„Die Egozentrik nimmt zu — und damit alle damit zusammenhängenden Probleme“, konstatiert Reinhold Palussek, Leiter der psychologischen Studentenberatung in Halle. Zusammen mit zwei Forschungskollegen aus Göttingen hat er 438 StudentInnen aus Ost und West nach ihren Wünschen, Befürchtungen und Plänen befragt.

Insbesondere die Frauen an der Martin-Luther-Uni in Halle haben Angst, nach dem Studium auf der Straße zu stehen. Reinhold Palussek verwundert das keineswegs. Erstaunt hat ihn viel eher die „Selbstgefälligkeit“ der West-KommilitonInnen: Ihre Fragebögen spiegeln das Gefühl wider,„nach dem Studium auch bestehen zu können“. Unter dem Stichwort „konservativ“ verbuchten die Wissenschaftler das Festhaltenwollen an alten Bedingungen — und hier zeigten die Ossis weitaus höhere Werte. „Früher waren die Lebensbedingungen für Studenten einfacher“, sagt Palussek. Wohnheimplätze und Stipendien wurden gestellt, und ein Arbeitsplatz, wenn auch nicht unbedingt im angestrebten Bereich, war sicher. Die eingeschränkten Forschungsmöglichkeiten in der DDR und das Wissen, daß die Stasi stets mit im Seminarraum weilte, ist in der 1984 gegründeten psychologischen Studentenberatung hingegen weder vor noch nach der Wende von einem Klienten als Problem geschildert worden.

Die Vergleichsstudie stellt weiter fest, daß die Hallenser Studenten mehr Wert darauf legen, „gelenkt zu werden, als andere zu lenken“. Außerdem sind sie weniger interessiert als ihre Göttinger KommilitonInnen, andere auszustechen, und legen dafür stärkeren Wert auf Beziehungen und menschliche Wärme. Gegenüber ihren WestkollegInnen fühlen sie sich benachteiligt, „weil sie nur 60 Prozent vom Bafög bekommen. Die Bücher aber kosten überall gleich viel“, so Pallussek. Trotzdem sei der Wunsch, während oder nach dem Studium in den Westen zu wechseln, die Ausnahme.

„Depressive Verstimmungen sind vorhanden, aber durchaus nicht bei der Masse“, faßt der Ostwissenschaftler die Situation seiner Klienten zusammen. Eine Berufskollegin von der FU in Berlin hat beobachtet, daß bei den StudentInnen aus Ost- Berlin familiäre Konflikte zunehmen, „weil sich die Kids schneller verändern als ihre Eltern“. aje