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ABM, und nun?

■ Schlaglichter auf die bedrohte Kulturlandschaft / „Man kann vom Publikum nicht das Geld verlangen, das Kultur kostet“

Wie in dem unwirklich lautlosen Moment zwischen Detonation und Einsturz wankt es schon und stürzt ganz bald in sich zusammen, das gewaltige ABM-Gebäude in dieser Stadt. Schon der Name: als wäre nicht Geld, sondern Arbeit beschafft worden, die doch von selbst da ist. Noch stehen wenige entscheidende Sitzungen im Arbeitsamt (13.2.) und im Senat aus; noch können viele hoffen, daß es gerade sie nicht treffen wird, treffen kann, daß ein Giebelchen, ein Eckchen halbwegs unversehrt stehen bleiben wird — es sieht in Wirklichkeit noch viel schlechter aus.

Für den Kulturbereich einschließlich der Soziokulturellen Breitenarbeit gibt es inzwischen auf Anfrage der FDP-Deputierten eine Aufstellung der Kultur- Behörde, wie viele Stellen wo durch die ABM-Kürzungen als bedroht, gefährdet oder schlicht als chancenlos gelten müssen. Bislang hat die betroffene Szene, etwa durch Netzwerk oder die einzelnen Sparten im neugegründeten Kulturrat, noch keine präzisen Zahlen vorgelegt.

Bilanz: die Zahlen

ABM werden nicht bei der Kulturbehörde, sondern beim Arbeitsamt beantragt. Deshalb ist die folgende Übersicht — nur aus Sicht des Kultur-Ressorts — unvollständig.

1. Zum Stichtag 1. Januar 1992 geht die Behörde in der Kulturabteilung selbst von 70 Maßnahmen aus. Das sind rund 37 „Einsätze“ von KünstlerInnen und Projekten in „Kunst im öffentlichen Raum“, außerdem 24 für kulturelle Breitenarbeit. Fast alle laufen Mitte des Jahres aus. In den der Behörde nachgeordneten Dienststellen kommen rund 95 ABM hinzu, etwa in den Stadtbibliotheken (52), in Volkshochschule (30), in Museen (14).

2. In der freien Kulturarbeit entfallen derzeit 13 ABM-Stellen auf die Theater (Freiraum, Schnürschuh, Shakespeare), weitere 8 auf Literatur (Literaturkontor, Kommunalkino, Filmbüro), 6 auf die bildende Kunst (Gedok, Kunstverein Nord, GaK, Gruppe Grün, BBK). Für Musik laufen 8 Stellen (Akademie für Alte Mu

Der Schlachthof: Fast 100.000 NutzerInnen kommen jährlich Foto: Katja Heddinga

sik, Dacapo, Archiv für Musikpflege). 35 mal hängen auch hier die Museen am Tropf: Kunsthalle, Weserburg, Schiffahrtsmuseum, Overbeck-stiftung.

Hochgefährdet sind die ABM im Bereich Kulturelle Breitenarbeit, derzeit mit rund 102 Stellen. Davon gibt es in Frauenprojekten 13 Stellen (Frauenkulturhaus, belladonna, Frauenwoche), 89 für Sozio-Kultur, 8 in Stadtteil- Kulturzentren wie Schlachthof, Lagerhaus, AKuZ Walle, Kulturläden in Pusdorf, Neustadt, Kulturbüros in Neubaugebieten wie Tenever, Grohn, Obervieland, dazu Geschichtsgruppen, Breminale-Team, Kulturforum Nord.

Aussichten

Bremen, in den Vorjahren bundesweit überproportional gefördert, wird nun drastisch gekürzt. Nicht mehr 117, sondern nur noch 35 Mio. Mark werden aus Nürnberg für 1992 erwartet. Am 13.2. wird der Verwaltungsausschuß die neuen Vergabe-Kriterien festlegen. Es gilt als sicher, daß man sich auf die Kriterien

Dauerarbeitsplatz

Jugendliche

Schwerbehnderte

Hilfskräfte

konzentrieren wird. Die Zahl der geförderten AkademikerInnen

Fabrik

bemalte Wand

wird sich in etwa halbieren. ABM-Stellen, die keine unmittelbaren Auswirkungen auf Beschäftigungsverhältnisse haben, gelten als nicht finanzierbar. Damit sind soziokulturelle Bildungsinitiativen, Animationsprojekte, Kulturbüros, Kunstproduktionen höchst gefährdet. Daß ein „Nachschlag“ im Laufe des Jahres nicht in die neuen Bundesländer, sondern etwa auch nach Bremen ginge, ist kaum zu erwarten. Außerdem ist ein großer Teil der erwarteten 35 Millionen durch Vorgriffe auf die kommenden Jahre bereits an das Stammkräfte-Personal gebunden, 20 Stellen gibt es nach Auskunft von Abteilungsleiter Opper allein im Kultur-Bereich.

Große und Kleine: Beispiele

Ein gewaltiger Flurschaden ist zu erwarten. Was ist eigentlich unverzichtbar? Wenn ABM-Kräfte im Keller der Kunsthalle 250.000 Zeichnungen und Drucke sichten und sortieren, ist das eine klassische, zusätzliche, zeitlich begrenzbare ABM. Aber die meisten Stellen hatten sich weit von solchen Regeln entfernt. Manchmal hängt an der ABM die eine, einzige Person, ohne die der Laden neben gutwilligen Freizeit

-Aktiven zusammenbricht. Die Gesellschaft für Aktuelle Kunst, GaK, seit 10 Jahren Vorzeige- Objekt, hat ihre Geschäftsführung schon entlassen müsssen, eine einzige Sekretärin hält noch die Stellung. Ebenso bedroht: die Gruppe Grün, vor 20 Jahren gegründet und am Tropf. Daß sich Bremen-Nord wieder in eine Kulturwüste zurückentwickeln wird, ist abzusehen und auf der Kultur- Debatte letzte Woche auch ausgesprochen: Kunstverein, Statt- Theater, Kulle, auch Kito und viele andere überleben mit ABM. Aber auch die Großen! Die Kunsthalle organisiert ihren Aufsichtsdienst mit ABM. Das Übersee-Museum hält sich mit 12 ABM über Wasser, vor allem in den technischen Werkstätten und bei den Wissenschaftlern. „Alles wird sich um Jahre verzögern“, befürchtet Chefin Kuster-Wendenburg. Ohne ABM (derzeit 26, vor allem im gewerblichen und haustechnischen Bereich) fürchtet der Schlachthof um seine Veranstaltungen. Arbeitsamt, Kultursenatorin und SPD-Ortsverein haben schon Besuche angesagt. Das Freiraum-Theater sieht rabenschwarz. Müller-Ohtzen: „Kultur kann von Menschen nicht so bezahlt werden wie Autos oder Waren. man kann nicht das Geld verlangen, das der Betrieb kostet.“

Unter dem Dach des Lagerhaus Schildstraße sind 37 ABM organisiert, einschließlich aller Vereine. Das umfaßt Kultur, Ökologie, Ausländer-Sozial-Kinder- und Jugendarbeit. „Das sind klassisch staatliche Tätigkeiten“, sagt Maria Haucke. Selbst die Cafe- Kraft sei mit 15 Stunden nur schwierig selbst zu fianzieren, bei dieser Kombination aus Kommerz, Solidaritäts-Arbeit und Gratis-Versammlungs-Raum.

Notprogramme

Die Namen der EinzelkünstlerInnen bzw. der Kulturläden und Galerien, Theater und Initiativen würde Seiten füllen. Die große Einigkeit der etablierten und freien Kulturszene und auch von Teilen der Behörde, daß die ABM-Sucht der Vergangenheit ein schlechter Ersatz, nämlich Arbeitsmarkt- statt Kulturpolitik war, hilft bloß überhaupt nicht weiter. Auch nicht, daß es gerade für SozialdemokratInnen blamabel ist, Kultur- und Bildungsangebote in den Stadtteilen jenseits der Mitte so ausschließlich von Nürnberg füttern zu lassen, so wenig zum eigenen Anliegen zu machen. Der Kulturrat hat ein Notprogramm gefordert, das mit Bremer Mitteln einspringt. Zahlen werden gerade erarbeitet. Die Zeit, das wissen alle, arbeitet: Nach einem halben Jahr ohne Projekte und Kultur-Initiativen können Zyniker rufen: „Es geht ja auch so!“ Susanne Paas

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