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Nachdenken über das Selbstverständliche

■ Barbara Duden will in ihrem „offenen Bremer Haus“ einen außeruniversitären Ort der Nachdenklichkeit schaffen

„Körperhistorikerin“ und Neu-Bremerin Barbara Duden Foto: Jörg Oberheide

Der junge Mann, der die Tür öffnet, entschuldigt sich, daß er mich nur auf Englisch hereinbitten kann. Der vier Meter lange Tisch biegt sich unter Kaffee, Mehrkornbrötchen und Quark. Die Frühstücksrunde ist hellwach. Ivan Illich, seit den siebziger Jahren Mentor der fundamentalen Kritik an westlicher Medizin und Lebensweise, freut sich, als ihm jemand erzählt, sein neuestes Buch werde demnächst im WDR rezensiert. Sein Kollege verabschiedet sich zur Vorlesung. Eine Studentin gibt Auskunft über ihre weiteren Reisepläne...

Hausherrin des schmucklosen weißen Hauses in der Kreftingstraße mitten im Bremer Ostertor-Viertel ist Barbara Duden. Die „Körperhistorikerin“, wie sie sich im Bemühen um Präzision bezeichnet, hat bereits manches Kapitel verschütteter Frauengeschichte erforscht. Jetzt will sie versuchen, die Erfahrung mit intensiven außeruniversitären Diskussionskreisen aus den USA in ihr „offenes Haus“ in Bremen zu verpflanzen.

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Foto von der Frau

taz: Du bist vor ein paar Wochen nach Bremen gezogen. Warum Bremen?

Barbara Duden: Ich bin vor einem Jahr aus den USA zurückgekommen, wo ich sechs Jahre unterrichtet habe. Ich wollte mir einen Platz suchen, wo ich fortsetzen könnte, was wir in den USA gemacht haben. Wir, das sind Ivan Illich, Wolfgang Sachs, Jean Robert, Marianne Gronemeyer. Wir haben in Pennsylvania unterrichtet und regelmäßig Treffen in unserem Haus veranstaltet, außerhalb vom Campus, eine lose Folge von Seminaren. Wir hatten einen Diskussionszusammenhang, den nannten wir „Zur Geschichte der modernen Selbstverständlichkeit“. Dabei ging es zum Beispiel um Institutionenkritik, Sprachkritik, die Entstehung der modernen Bedürfnisse. Die Diskussionen aus dieser Zeit waren eine ganz wichtige Grundlage für mein neues Buch „Der Frauenleib als öffentlicher Ort“.

Für Bremen habe ich mich entschlossen, weil ich hier sehr gute Freunde habe. Ich habe mal in einer Wohngemeinschaft in Berlin gelebt, in der ein Teil der Gründung der Bremer Uni diskutiert wurde. Das war vor über 20 Jahren. Es sind also eindeutig Freunde, die mich nach Bremen gelockt haben, keine Arbeitsvorhaben.

Wie willst Du das offenbar sehr fruchtbare Diskussionsklima von Pennsylvania nach Bremen verpflanzen?

Das kann man überhaupt nicht planen. Was wir in Bremen machen können, muß sich erst zeigen. Ich habe jetzt das Haus, und wir haben Freitagabend eine Art offenes Haus im Anschluß an Ivan Illichs Vorlesung. Wir wollen kein Institut machen, sondern ich will versuchen, ob wir, wie in den USA, außerhalb von Planung und Wissenschaftsbetrieb ein diszipliniertes, kontinuierliches Gespräch in einem wechselnden Freundeskreis in Gang setzen können. In den vergangenen Monaten haben wir mit Leuten aus Bremen und von außerhalb über „Sehen auf Befehl“ gesprochen. Also, wie wehrt man sich gegen den Druck, auf Bildern genau das zu erkennen, was nach Meinung der Experten darauf abgebildet ist.

In der Gesprächsrunde am Freitagabend haben wir mit Freunden von Annelie Keil, Johannes Beck und Christian Marzahn diskutiert über Räume der Nachdenklichkeit in und außerhalb der Uni, über Widerstand gegen die Diagnostik in der Medizin, Erziehung und Psychologie und über die symbolische Wirkung von Technik auf das Körpererlebnis.

Ende Januar hat sich eine Gruppe von Diagrammatikern mit der Wirkung von graphischen Darstellungen auf das Laienbewußtsein befaßt.

Eure bisherigen DiskussionspartnerInnen kommen von der Uni. Hast Du Interesse, den Kreis zu erweitern — bei Frauenzusammenhängen denke ich zum Beispiel an belladonna?

Ich habe bisher mit der einen oder anderen Frau korrespondiert. Zu persönlichen Kontakten hat es noch nicht gereicht. So ein Haus einzurichten und in Gang zu setzen, wo ich momentan ja noch am Kulturwissenschaftlichen Institut in Esen arbeite, das ist alles wahnsinnig zeitaufwendig.

Du hast keinen Arbeitsplatz in Bremen, bisher nicht mal einen Lehrauftrag an der Uni. Dein Buch stößt auf große Resonanz — aber davon kannst Du sicher nicht leben?

Bis Mitte des Jahres arbeite ich noch in Essen, im Herbst werde ich dann in den USA unterrichten. Was ich weiter mache, das weiß ich noch nicht. Ich lebe einen Flickenteppich, was das Einkommen angeht, und damit bin ich immer gut durchgekommen.

Fragen: Gaby Mayr

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