: Schlechte Karten
Elfriede Müllers „Damenbrise“ und „Herrengedeck“ — eine Uraufführung in Darmstadt ■ Von Jürgen Berger
Gloria Anders ist, wie schon der Name sagt, nicht die, für die sie sich ausgibt. Eigentlich ist sie Souffleuse, nimmt sich aber die Freiheit, eine junge Theaterautorin zu spielen und mit dem Regisseur zu plaudern, dessen Name allem Anschein nach häufiger in den Feuilletons erscheint. Im Gartenrestaurant nahe dem Theater ist er hauptsächlich damit beschäftigt, sich selbst zu inszenieren — Gloria Anders kann mithalten, ihr Beruf läßt ihr Zeit, die Theaterleute zu studieren. Sie weiß, daß auf die Frage, was denn das Theater sei, seit Thomas Bernhard nur eine Antwort möglich ist: „Ein Anachronismus.“ Was natürlich auch für den Mensch an sich gilt, und schon sind beide mittendrin in ihrem Dialog, in dem das Theater als überflüssige Staffage entlarvt wird, eine Staffage freilich, die verkauft sein will.
Die Souffleuse in der Haut der Autorin spielt die Gratwanderung der Stückproduzentin für den Markt des schönen Scheins zwischen Anbiederung und Selbstbehauptung. Anfänglich ist sie (Christiane Raubuck) eine unsichere Autorin, die an den Lippen des Regisseurs hängt, um die Antworten zu erahnen, die dieser gerne hören möchte. Aber allmählich findet sie sich in das ironische Spiel ein, und dann bürstet sie ihn plötzlich ab. Eine kleine Revolte ist das, ein ironisch inszeniertes Indiz für den Generationenkonflikt, den Elfriede Müller ihrer Damenbrise unter die Komödienoberfläche pflanzte.
Um ihn geht es eigentlich und um die derzeitige Ratlosigkeit im Theater — beziehungsweise wie es weitergeht oder wie man die Ratlosigkeit mehr oder weniger flott kaschieren könnte. „Sie sind zu jung. Sie erleben alles nur noch aus zweiter, dritter Hand“, sagt der alternde Regisseur. Ein Vorwurf, der auch im zweiten Stück von Elfriede Müller auftaucht, in Herrengedeck, das der Schauspieler und Regisseur Rolf Mautz bei diesem Doppelabend in Darmstadt zur Uraufführung bringt. Damenbrise inszenierte er schon einmal, vor zwei Jahren für ein Theaterfest im Berliner Literaturhaus. Zusammen ergeben die beiden kurzen Komödien einen Abend über das Innenleben des Theaters, eine ironische Momentaufnahme, unangestrengt geschrieben und pointiert inszeniert — anders als vor einem Jahr, als Elfriede Müllers unfertiger Goldener Oktober (eine zu schnelle Reaktion auf die deutsche Vereinigung) in Tübingen uraufgeführt wurde.
Hin und wieder meint man auch in Herrengedeck in einem Stück von Thomas Bernhard zu sitzen, etwa wenn der alte Schauspieler das Wort „Existenzauslöschung“ grollt und Bernhard Minetti auf der Bühne stehen müßte. Die Autorin spielt mit solchen Theatertönen, für alte Schauspieler setzt sich das Leben aus den Rollen zusammen, die sie spielten, und so taucht auch Becketts kurze Bootsidylle aus dem Letzten Band auf, treten der alte Schauspieler und die alte Schauspielerin wie Botho Straußens alt gewordene Mann und Frau aus Kalldewey, Farce auf. „Wo sind wir?“ fragt er. „Auf der Bühne“, könnte sie antworten, sagt aber: „Ich weiß nicht.“
Nach einer Weile wird das Spiel ernst. Ein junges Schauspielerpaar kommt aus der Kantine, verkeilt in hartem Konkurrenzkampf. Als sie sich ausgekotzt hat und gegangen ist, nimmt das alte Paar den jungen Schauspieler ins Gebet. Der ist ein hippeliger Antiautoritäts-Geschädigter, ein unsicherer Aspirant, der immer weg will und gegen alles ist, weil er nicht weiß, für was er sein könnte. Jetzt sind die Kinder der 68er an der Reihe, Schauspieler zu werden; sie haben nur Verachtung für alles, was gespielt werden könnte. Schlechte Karten für die Bühnenkunst. Wenn die alte Schauspielerin und der alte Schauspieler abtreten, bleiben die beiden Jungen laut Elfriede Müllers Regieanweisung „irritiert“ zurück.
Elfriede Müller: Damenbrise. Herrengedeck. Regie: Rolf Mautz. Bühne: Eva Giersiepen, Kostüme: Inge Medert. Mit: Wolf-Dieter Tropf, Christine Rubruck, Elisabeth Degen, Rudi Riegler, Charlotte Asendorf, Günther Alt, Martina Roth u.a. Staatstheater Darmstadt. Weitere Aufführungen: 5., 13., 15., 26.Februar.
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