: ai klagt uniformierte Vergewaltiger an
■ Bericht über sexuelle Gewalt gegen Frauen in Haft/ Mißhandlungen sind gängige Verhörmethoden
Berlin (taz) — Die türkische Studentin Günay Korkut wurde im Mai 1991 in Adana wegen legaler politischer Aktivitäten verhaftet und auf eine Polizeiwache gebracht. Während der mehrtägigen Verhöre wurde die 20jährige mehrfach ausgezogen und an den Handgelenken aufgehängt. Man quälte sie mit Elektroschocks an Zehen, Brüsten und Genitalien und vergewaltigte sie.
Dies ist nur einer von zahlreichen Fällen, die die Menschenrechtsorganisation amnesty international in ihrem Bericht über sexuelle Gewalt gegen Frauen in Haft dokumentiert hat. Aus allen Regionen der Welt liegen Fälle vor, in denen Frauen im Gewahrsam von Polizei oder Militär sexuell belästigt, mißhandelt oder vergewaltigt wurden. Nach Einschätzung von amnesty sind jedes Jahr Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Frauen von sexueller Gewalt in Gefängnissen betroffen, darunter auch Schwangere und Mädchen.
Nur selten kommt es zu einer unabhängigen Untersuchung von Vergewaltigungsvorwürfen und noch seltener zu einer Strafverfolgung der Täter. Viele Regierungen weigern sich, Vergewaltigung in der Haft als Menschenrechtsverletzung anzuerkennen. Sexuelle Gewalt durch sogenannte Sicherheitskräfte sei jedoch nicht „nur“ eine kriminelle Handlung einzelner, sondern eine besonders erniedrigende Form von Folter, für die der Staat volle Verantwortung trage, betont ai.
Noch sind staatliche Gegenmaßnahmen wie in Indien die Ausnahme. Hier hatten Berichte über Vergewaltigungen ein derartiges Ausmaß angenommen, daß das Oberste Gericht des Unionsstaates Assam im März 1991 ausdrücklich verbot, Frauen nach der Festnahme zum Verhör in Kasernen zu bringen. In etlichen Staaten, in denen die Armee einer bewaffneten Opposition gegenübersteht, zählen Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch zur skrupellos angewandten Militärtaktik der Aufstandsbekämpfung. Frauen in den umkämpften Gebieten sollen eingeschüchtert werden, zur Preisgabe von Informationen gezwungen oder stellvertretend für ihre Männer bestraft werden. Fälle, wo Mädchen und Frauen bei Dorfrazzien der Armee vergewaltigt wurden, sind unter anderem aus Uganda, Bangladesch und Peru bekannt geworden.
Viele der betroffenen Frauen wagen aus Scham und Angst nicht, die Vergewaltigung anzuzeigen. In vielen Staaten, vor allem der islamischen Welt, ist eine Vergewaltigung auch heute noch ein absolutes Tabu. Eine Frau, die ihre Vergewaltigung öffentlich macht, muß mit gesellschaftlicher Isolation, der Verstoßung aus Familie und Dorfgemeinschaft rechnen. In Pakistan riskiert eine vergewaltigte Frau sogar die Verhaftung wegen Unzucht, wenn sie keine Augenzeugen für die Tat hat. Bestraft werden nicht die Täter, sondern die Opfer. Deshalb verschweigen die Frauen die „entehrende“ Tat, nicht selten begehen sie Selbstmord.
Doch nachdem sich im vergangenen Jahr politisch motivierte Vergewaltigungen häuften, setzen sich die pakistanischen Frauen zur Wehr. Im November wurde eine renommierte Modedesignerin und Freundin der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto vergewaltigt. Die Täter wollten auf diese Weise Informationen über Benazir Bhutto erpressen. Die Frau eines bekannten Oppositionspolitikers wurde ebenfalls aus politischen Motiven vergewaltigt. Pakistanische Frauenverbände gründeten daraufhin in Karatschi die Organisation „Krieg der Vergewaltigung“. Im Dezember protestierten sie mit der Verbrennung von Schleiern gegen die Gewaltakte.
Politisch aktive Frauen werden häufig zum Ziel sexuell ausgerichteter Angriffe, die ihre Stärke untergraben, sie „beschmutzen“ und isolieren sollen. Eine guatemaltekische Gewerkschafterin wurde stundenlang nackt verhört und mit Vergewaltigung bedroht, weil sie nicht die gewünschten Informationen lieferte. In Griechenland wurden zwölf Frauen festgenomen, die politische Plakate geklebt hatten. Auf der Polizeiwache wurden sie gezwungen, sich vor den Augen aller auszuziehen. Umstehende Polizisten beleidigten sie mit obszönen Gesten. Einige Frauen, darunter eine Schwangere, wurden geschlagen und dabei erheblich verletzt.
Daß auch in Europa bei Verhören sexuelle Gewalt eingesetzt wird, erlebte Rose Ann Maguire aus Nordirland. Sie wurde im Juli 1991 festgenommen und fünf Tage lang im Verhörzentrum Castlereagh inhaftiert. Während der Befragung griff ihr ein Beamter an die Brust und zwischen die Beine. Sie wurde geschlagen und mit dem Tod bedroht. Rose Ann Maquire ist nicht die einzige, die in Castlereagh derart mißhandelt wurde. Amnesty liegen allein aus dem vergangenen Jahr drei ähnlich gelagerte Fälle in Europa vor.
Um Frauen künftig vor sexuellen Übergriffen zu schützen, fordert amnesty unter anderem, daß bei ihrer Befragung weibliches Polizeipersonal oder weibliche Armeeangehörige anwesend sein müssen. Zudem könne nur eine konsequente Strafverfolgung von Vergewaltigern in Uniform das deutliche Zeichen setzen, daß derartige Übergriffe nicht toleriert werden. Dorothee Winden
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