: Ein Negerkuß gefällig?
■ »Menschenfresser Negerküsse« — eine Ausstellung in der Galerie am Körnerpark
Gewiß ist es ein unzeitgemäßes Signal, wenn Otto Grotewohl, der erste Ministerpräsident der DDR, aus dem Namen einer Straße getilgt wird, und diese ausgerechnet in Mohrenstraße rückbenannt (sic!) wird. Zumal sie als Endstation einer U-Bahnlinie auf Stadtplänen und bis nach Pankow hinauf vervielfältigt und exponiert ist. Wie aber steht es um ein Kind, das sich beim Bäcker einen »Mohrenkopf« bestellt? Setzt es allein schon durch die Wortwahl seine weiße Vorherrschaft und Vorbildlichkeit in Szene? Hat je einer das Vernaschen dieses Schokolade-Sahne-Waffel- Produkts (das eine Schweizer Firma kürzlich in »Schoko-Köpfli« meinte umtaufen zu müssen) als einen kannibalischen Akt empfunden?
Hilft es Sinti und Roma, ja befördert es gar das Verständnis ihrer Geschichte und Wirklichkeit, wenn der aufgeklärte Sprachgebrauch sie nicht mehr als »Zigeuner« bezeichnet; und was ist von jenen schwarzen Künstlern zu halten, die um die Jahreswende in Berlin ausstellten und von sich selbst, aufgrund der alltäglich in den USA gemachten Erfahrungen, von »niggern« sprechen?
Diese umgangssprachlichen und visuellen Bilder, mit denen sich der deutsche Alltag Fremde einverleibt, geht die Ausstellung Menschenfresser Negerküsse nach. Viel Platz dafür ist nicht, trotzdem wird der Versuch unternommen, möglichst viele Aspekte der einseitigen, kolonialistischen Beziehungen insbesondere zu den afrikanischen Völkern anzureißen: von entwürdigenden Fotostudien »zu wissenschaftlichen Zwecken« aus der Kolonialzeit, der Mode seit dem 17. Jahrhundert, in Herrscherhäusern schwarze Diener zu halten, bis hin zu der von caritativen Maßnahmen flankierten wirtschaftlichen Abhängigkeit der »schwarzen« von der »weißen« Welt.
Den Schwerpunkt aber bilden die Symbolisierungen, in denen die Fremden, besonders die Schwarzen, während der letzten hundert Jahre vorgestellt worden sind. Die Beispiele sind vielfältig: da sieht man Reklameschilder aus den zwanziger Jahren, auf denen die schwarze Hautfarbe durchgängig für die Assiziation mit Schokolade, aber auch Schuhcreme, herzuhalten hat. Jüngstes Beispiel ist der New Yorker Schuhputzjunge, der auf einer Reklametafel einen weißen Zigarettenyuppie anhimmelt. Eine elektrische Puppe des Sarotti-Mohren von 1950 bietet in stereotyper Bewegung das Produkt wie sich selbst an.
Daneben wirbt ein devot lächelndes Thai-Mädchen in der Anzeige einer Fluggesellschaft für den Besuch. Und Tina Turner ist im umfangreichen Begleitbuch als »brown sugar« dokumentiert. Ein weise blickender Chinese hält sein Gesicht für einen Tee her, und ein stolzer Indianer für »original kanadischen Ahornsirup«.
Die gesamte Palette der Vorurteile wird also präsentiert, dazwischen hängen Beispiele neuerer Werbestrategien: die »Come together«- Kampagne einer Zigarettenfirma wie die Universal-Bekleidungs- Kampagne eines italienischen Mode- Multis lassen die Gleichung weiß = schwarz = gelb = rot, nur um den Preis einer globalen Europäisierung/ Amerikanisierung zu.
Indem die kleine Ausstellung am Körnerpark eine möglichst breite Palette von Klischees der Vergegenwärtigung von Fremden darstellt, läßt sie freie Assoziationen ebenso zu, wie sie auf einen pädagogischen Anspruch zu verzichten scheint. Wenn man dann aber auf einer der Texttafeln liest, in der Faschingsverkleidung eines Mädchens zur Zigeunerin, und der eines Jungen zum Indianer, könnten »latente Rassismen« stecken, dann dreht sich einem doch der Magen um. Wer in seiner Kindheit zum Karneval als Zigeunerin geht, oder einen Roman von Karl May nach dem anderen verschlingt, ist keineswegs automatisch zum Rassisten bestimmt. So sollte diese Ausstellung keinesfalls dazu führen, die Träume aus den Kinderstuben zu fegen. Und bestünden sie nur aus dem Wunsch nach Negerküssen. [Und warum sagt man nicht einfach »Dschungel-Knutscher«? d. säzzer] Bernd Gammlin
Galerie am Körnerpark, Schierkerstraße 8, Neukölln: Menschenfresser Negerküsse Di-So 11-17 Uhr, bis 20. April. Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm in der Galerie, im Saalbau Neukölln und im Passagen-Kino begleitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen