: Bewag hinkt der Zeit hinterher
■ Die Bewag verschleppt die Entstickung der Kraftwerke mit stillschweigender Billigung des Senats
Berlin. Wenn nicht gerade der Strom ausfällt, produzieren die Kohlekraftwerke der Bewag Wärme und nach wie vor eine Menge dicke Luft. Seit Ende 1990 sollten die Stickoxide der Abluft eigentlich auf einen jährlichen Ausstoß von 200 Milligramm je Kubikmeter gesenkt werden. Doch heute sind nur drei der sieben sogenannten DeNOx-Anlagen in Betrieb. Hartwig Berger, Abgeordneter der Grünen/Bündnis 90, wirft der Bewag deshalb schwere Verfehlungen vor: zweieinhalb Jahre sei die Entstickung verschleppt worden, mit stillschweigendem Einverständnis des Senats.
Die Bewag will die Schelte nicht auf sich sitzen lassen. Auch die DeNOx-Anlagen in den Kraftwerken Charlottenburg, Lichterfelde und Oberhavel wären termingerecht in Betrieb gegangen, hätte nicht das Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA), die zuständige Genehmigungsbehörde, nicht plötzlich im Herbst 1991 Bedenken angemeldet. Die LAfA wiederum beruft sich auf ganz neue Erkenntnisse, die nachträglich sicherheitstechnische Umbauten erzwungen hätten.
Sorge bereitet hierbei die Lagerung des Ammoniaks, der Grundlage der Entstickung ist. Entweicht das schwere Gas als giftige Nebelwolke, besteht akute Gefahr für das Leben der Arbeiter und der Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft des Kraftwerks. Lutz Wicke, Staatssekretär für Umweltschutz, stellt sich deshalb hinter die LAfA: »Die Sicherheit der Nachbarn ist in diesem Fall wichtiger als der Schutz der Umwelt.«
Die Gefährlichkeit des Ammoniaks ist allerdings hinlänglich bekannt. Bereits 1988 veröffentlichte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) den Entwurf einer Richtlinie, die auf verschärfte Sicherheitsvorkehrungen pocht. Die LAfA will hiervon erst Monate später erfahren haben. Jürgen Wichmann, Referatsleiter der Behörde, bringt das nicht aus der Ruhe. Die Bewag baut die Ammoniaktanks nun doppelwandig und basissicher. »Wir erreichen damit einen Standard, der sich sehen lassen kann.«
Im Bundesgebiet aber bleibt die Bewag das Schlußlicht. In Hamburg sind die Entstickungsanlagen seit 1987 und 1988 in Betrieb. 30.000 Betriebsstunden haben sie bisher geleistet. Zwischenfälle gab es bislang keine. Wenn die Richtlinien verschärft werden, wird rechtzeitig nachgerüstet.
Als Hartwig Berger den Senat im November 91 nach den Gründen der Verzögerung fragte, hatte die LAfA den Kraftwerken Reuter (West), Oberhavel und Rudow noch nicht einmal die nachträglichen Umbauten genehmigt. Hartwig Berger will den Kraftwerksbetrieb nun regreßpflichtig machen, weil der »aus selbstverschuldeter Verzögerung« Umwelt- und Gesundheitsschäden angerichtet habe. Mirjam Schaub
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