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Sechs Uhr fünfzehn

■ Über „La Stazione“

Der Theaterschauspieler Sergio Rubini führt zum ersten Mal Regie. Und spielt selbst die Hauptrolle. Der kleine Mann mit den abstehenden Ohren und der großen Nase heißt Domenico. Im italienischen Original klingt seine Stimme hastig, leicht rauchig. Beim Sprechen gestikuliert er mit den Händen. Synchronisiert bleiben seine Stimme flach und seine Gesten manchmal bedeutungslos. — Eine Nacht, in der es stürmt und regnet. Eine Liebesgeschichte, die nicht stattfinden wird. Domenico ist Vorsteher eines kleinen, einsamen Bahnhofs in Süditalien. Pedantisch rückt er die Büroutensilien zurecht und vertreibt sich die Zeit mit Statistik. Zwei Minuten und 57 Sekunden dauert es, bis das Wasser in der Espressokanne brodelt.

11 Uhr 36. Die blonde junge Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt heißt Flavia (Margherita Buy). Sie trägt ein rotes Abendkleid aus Samt und flieht vor ihrem brutalen, karierresüchtigen Verlobten Daniello (Ennio Fantastichini). Da der Zug nach Rom erst am nächsten Morgen geht, muß sie in dem winzigen Bahnhofsbüro mit den rehbraunen Möbeln, dem bollernden Ofen und den karg- bunten Urlaubspostkarten der Kollegen warten.

Die weltgewandte, mondäne Flavia und der linkische Domenico, der die Welt nur vom Hörensagen kennt. Vorsichtig beoachtet die Kamera, wie Stunden vergehen. Selten kommt sie den Personen zu nahe. Und registriert doch jeden Augenaufschlag und jede Geste. Domenico, der sich umständlich das Hemd in die Hose steckt. Flavia, die unsicher an ihrem Kleid zupft. Dazwischen verhaltene Worte, spröde Dialoge, die eigentlich von etwas anderem erzählen. Schüchtern knistert es in den Blicken. Im Hintergrund lauert die kalte, blaue Nacht und das krachende Prasseln des Regens.

„Ich liebe dich“, sagt Domenico irgendwann einmal, ohne auf Antwort zu hoffen. 6 Uhr 15. Es regnet nicht mehr. „Wie heißt du eigentlich?“, fragt Flavia, bevor sie in den Zug steigt. Im Morgengrauen verflüchtigen sich die Personen wie traurige Trugbilder. Eine Liebesgeschichte, die stattgefunden hat. Michaela Lechner

La Stazione — der Bahnhof , Regie: Sergio Rubini, mit Sergio Rubini, Margherita Buy, Ennio Fantastichini, Italien 1991, Farbe, 86 Min.

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