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Ewald, die Rübensau

■ DDR-Spitzentrainer Schimmel beschuldigt Ex-DDR-Sportchef: „Ewald war Doping-Drahtzieher“

Berlin (dpa) — Über seine leidvolle Vergangenheit wollte er eigentlich nie öffentlich reden. Jetzt aber platzte dem früheren Auswahltrainer der DDR-Gewichheber, Wolfgang Schimmel, der Kragen, nachdem der frühere DDR- Sportchef Manfred Ewald behauptete, die Staatssicherheit habe im DDR-Sport keine Rolle gespielt. „Das ist die größte Rübensau“, echauffiert sich der gebürtige Chemnitzer. „Es gab keine Reise ins westliche Ausland, die ohne Aufpasser von der Stasi ablief. Das wußten sowohl Sportler als auch Trainer. Und erst recht Ewald. Mit dem Doping war es nicht anders. Er war der Drahtzieher.“

Wolfgang Schimmel weiß, worüber er spricht. Am eigenen Leibe bekam er die Willkür der Staatsmacht zu spüren, die jedem widerfuhr, der nicht auf der Linie lag: Arbeitsverbot, Telefonüberwachung, Hausdurchsuchungen, Eigentumsbeschlagnahmung, U-Haft, Gefängnis, Zwangsverkauf des Eigenheims, Selbstmordpropaganda, Abschiebung in den Westen— ein Übermaß an Scheußlichkeiten mußte der Coach des damaligen SC Karl-Marx-Stadt über sich ergehen lassen, als er nach der Weltmeisterschaft 1978 in Gettysburg (USA) kundtat: „Ich höre auf.“

Sein Ansinnen stieß bei Sport- Befehlshabern auf Unverständnis, denn einen solchen Experten wollte man auf keinen Fall verlieren. „Man bekniete mich, wenigstens noch bis zu den Spielen 1980 weiterzumachen“, erzählt er, „doch ich wollte partout nicht mehr. Seit 1965 arbeitete ich als Trainer, war sehr oft unterwegs. Die Familie spielte nicht mehr mit. Meine Frau stellte mich vor die Alternative: entweder Sport oder mich und die beiden Töchter. Da mir die Familie alles bedeutet, entschloß ich mich für sie.“ Außerdem seien da noch die Doping-Gewissensbisse gewesen, die ihn seit längerem quälten. „Natürlich wußte ich, daß unerlaubte Mittel verabreicht wurden. Anfangs haben wir sie den Sportlern selbst gegeben, später machten das die Ärzte.“

Nach seinem sportlichen Ausstieg suchte er monatelang vergebens eine Arbeit. „Ich fand letztlich eine Anstellung als Glas- und Gebäudereiniger im Oberwiesenthaler Jugendtourist-Hotel. Ein halbes Jahr später wurde ich jedoch ohne Begründung entlassen. Merkwürdigerweise, nachdem Ewald und Konsorten im Heim zu Gast waren. Als meiner Tochter dann noch das Studium für Kunstgeschichte verwehrt wurde, war das Maß voll. Am 26. September 1983 stellte ich den Ausreiseantrag.“

Dann kam der Tiefpunkt. „Am 9. Februar 1984 sollte ich zum Rat der Stadt kommen, angeblich um mir die Ausreisepapiere abzuholen“, erzählt er. „Mich empfingen aber drei Herren von der Stasi, die mich umstimmen wollten. Als sie merkten, daß sie es nicht schaffen, brachten sie mich in den berüchtigten Stasi-Knast auf dem Kaßberg. Die Familie erfuhr ewig nicht, wo ich abblieb. Es wurde verbreitet, ich hätte mich umgebracht.“

Behandelt wurde er fortan wie ein Schwerverbrecher. Seine Zelle besaß kein Fenster, maximal ein Buch bekam er wöchentlich zum Lesen, ansonsten keinerlei Kommunikation, der tägliche Einzel- Freigang bestand aus wenigen Minuten Luftschnappen in einem Drahtkäfig. Es sei unbeschreiblich schlimm gewesen, berichtet der 51jährige. „Nach vier Monaten verurteilte man mich am 8. Juni 1984 zu 20 Monaten Gefängnis und 5.000 Mark Geldstrafe. Und zwar deshalb, weil ich mir im September 1981 in der deutschen Botschaft in Warschau Informationen für eine eventuelle Ausreise geholt hatte. Zehn Monate saß ich in Naumburg ein. Im April 85 kam ich in den Stasi-Knast zurück, am 15. Mai durfte ich endlich ausreisen.“

Seit sieben Jahren kümmmert sich Schimmel in einem Heim für Schwererziehbare bei Ulm um die Resozialisierung und Ausbildung von Jugendlichen in landwirtschaftlichen Berufen. Inzwischen ist er auch juristisch rehabilitiert, denn das Urteil ist als unzulässig anerkannt worden. Haß- oder Racheempfindungen verspürt Schimmel kaum noch. „Sie sind schließlich die wahren Verlierer.“ Eines jedoch bringt ihn nach wie vor auf die Palme, „wenn ein Mann wie Ewald so unverfroren seine Unschuld beteuert“.

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