piwik no script img

Nur in Deutschland werden Polen angegriffen

Behörden verhalten sich oft passiv/ Hintergrund meist politisch, nur selten kriminell/ „Französische“ und „deutsche“ Nummernschilder für polnische Wagen/ Wilde Jagden auf ostdeutschen Autobahnen/ „Durchfahren ohne anzuhalten“  ■ Aus Warschau K. Bachmann

Waldemar S., Breslauer Maler, fährt nur noch ganz besonders vorsichtig zu seiner Galerie in Hamburg, seit man ihm dort vor einiger Zeit seinen VW-Bus ausgebrannt hat. Schon mehrmals versuchten Unbekannte, ihn auf der Autobahn zu stoppen, seinen Wagen zu rammen oder ihn von der Fahrbahn zu drängen. Inzwischen, so berichtet er, fahren seine Landsleute durch die neuen Bundesländer durch, ohne anzuhalten. In Waldemars Bekanntenkreis gibt es mehrere Fälle, in denen Menschen überfallen oder ihr Wagen mit polnischem Nummernschild demoliert wurde. Zuletzt, als einem jungen Polen im Berliner Stadtteil Moabit von Skinheads auf offener Straße ein Stück der Zunge mit der Gartenschere herausgeschnitten wurde, sandte das polnische Außenministerium sogar eine Protestnote.

Der Fall, der auch in Deutschland Schlagzeilen gemacht hat, gehört zu einem von vielen, die sich in Form von Akten auf dem Schreibtisch von Abteilungsleiter Waszczuk im polnischen Außenministerium stapeln. Für die Monate November und Dezember kommt Waszczuk auf 35 Übergriffe gegen polnische Bürger, aber viele werden nicht gemeldet. In manchen Fällen betrafen die Überfälle gleich mehrere Personen auf einmal. Waszczuk teilt sie in zwei Kategorien: rein kriminelle Raubüberfälle und sogenannte politische, bei denen nazistische Sprüche gerufen, Hitlergrüße gezeigt und Polen mit allerlei Beschimpfungen belegt werden. Letztere Kategorie sei in der überwiegenden Mehrheit.

Daß die Polizei in den neuen Bundesländern nicht überall sein kann, weiß man in Polen. Was dort Besorgnis erregt, sind vor allem zwei Tatsachen. Waszczuk: „Solche Vorkomnisse geschehen fast nur in Deutschland. Wir haben praktisch keinerlei entsprechende Meldungen aus anderen Ländern des Schengener Abkommens.“ Ganz besonders beunruhigt Politiker und Medien in Polen allerdings die Passivität der Behörden. Informationen der Opfer nach zu schließen, lehnen es Bundesgrenzschutzbeamte und Zoll fast durchweg ab, sich mit entsprechenden Anzeigen auch nur zu befassen. In mehreren Fällen verhielten sie sich — ebenso wie die Polizei — den Opfern gegenüber sogar ausgesprochen aggressiv.

Als am 4. Januar in Guben zwei Polen von Neonazis, die Hakenkreuze an den Jacken trugen, verprügelt worden waren, und dies an der Grenze dem BGS melden wollten, waren die Beamten nicht einmal bereit zuzuhören. Als die Polen daraufhin zurück nach Deutschland einreisen wollten, um bei der Polizei Anzeige zu erstatten, wurde ihnen ohne Begründung die Einreise verweigert.

Der Fall des jungen Polen in Berlin vom 17. Januar ist nicht der erste, der in Polen Schlagzeilen machte. Schon im Herbst ging durch die Presse, daß eine vierköpfige Delegation aus Stettin bei der Rückkehr von einem offiziellen Besuch in Deutschland von 15 „Heil Hitler“ brüllenden, mit Gaspistolen bewaffneten Neonazis überfallen wurde.

Begonnen habe das Ganze, so kann man der Presse entnehmen, mit der Öffnung der Grenze 1991, als Polizisten und Grenzbeamte tatenlos zusahen, wie Neonazis polnische Busse demolierten. „Adolf Hitler reibt sich die Hände“, fand die 'Gazeta Wyborcza‘.

Waldemar S., der sehr häufig beruflich nach Deutschland fahren muß, berichtet von fast regelmäßig wiederkehrenden Verfolgungsjagden auf den ostdeutschen Autobahnen: „Da fährt auf dem rechten Streifen ein LKW ganz dicht auf, hupt und blendet dich mit dem Fernlicht. Dann schert er nach links aus, überholt bis zur Hälfte und zieht dann wieder scharf rechts rüber. Wenn du dann nicht hart bremst, liegst du im Graben.“ Um solchen Attacken zu entgehen, kaufen sich immer mehr Polen aus den Grenzgebieten neue Nummernschilder, die auch schwarz-weiß, aber den französischen nachempfunden sind. Wieder andere machen vom Angebot fliegender Händler Gebrauch, die an der Grenze deutsche Nummernschilder verkaufen.

Nicht allen helfen allerdings solche Tricks. Polnische Busse sind meist schon an der Marke als solche zu erkennen. Und auch vor anderen Fortbewegungsmitteln machen Rabauken nicht halt. Auf der Höhe von Eberswalde, 66 Kilometer vor der Grenze, warfen vor kurzem Unbekannte von einer Brücke brennende Reifen auf ein vorbeifahrendes polnisches Frachtschiff.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen