INTERVIEW
: Die wahre Umweltkatastrophe sind wir selbst

■ Die Psychotherapeutin Sigrun Preuss, Lehrbeauftragte für Ökopsychologie an der Universität Bremen, zeigt Grenzen und Möglichkeiten auf, ökologisch bewußt zu handeln

taz: Am letzten Wochenende brachten Nebel, kilometerlange Staus, Karambolagen und Smog wieder Chaos auf den Autobahnen. Warum fällt es uns so schwer, auf das Auto zu verzichten?

Sigrun Preuss: Mit den Folgen unseres Handelns, beispielsweise des Autofahrens, werden wir immer erst zeitlich und räumlich verzögert konfrontiert. Wir erfahren erst Jahre später von den gesundheitlichen Auswirkungen des Schadstoffausstoßes und können ihn dann nicht mehr in einen direkten Zusammenhang zu unserem Autofahren bringen.

Daß Autofahren für erhöhte Schadstoffwerte in der Luft verantwortlich ist, weiß doch jeder.

Das Wissen ist zwar vorhanden, zumindest abstrakt. Wenn man eine Befragung zum Thema Luftverschmutzung, Allergien und Autofahren machen würde, würden wir ganz hervorragende Antworten kriegen. Aber das Umsetzen des Wissens ist hochgradig erschwert.

Wodurch?

Einmal durch die Verzögerung der Auswirkungen. Und wenn wir uns näher mit dem Problem befassen, dann wird es sehr bedrohlich. Wir sind zum einen Opfer der Umweltschädigungen und gleichzeitig auch Täter. Kein Mensch kann sich diesem zweiten Aspekt entziehen. Beides, also Opfer und Täter, zu sein, können wir emotional sehr schwer verkraften. Die Reaktion: Wir vergessen, verdrängen und lassen das Thema lieber fallen.

Was spielt sich denn genau in unserer Psyche ab?

Ich nenne das eine Erlebniskatastrophe. Wir sind plötzlich damit konfrontiert, daß unsere Gesundheit und letztendlich unser Leben gefährdet ist. Das allein ist schon sehr belastend. Es ist ähnlich wie bei Personen, die tödlich erkrankt sind und denen es ungeheuer schwerfällt, sich mit der Bedrohung auseinanderzusetzen. Die zweite innere Bedrohung ist, wir müssen feststellen, daß wir selbst die Täter sind — wobei der eine mehr, der andere weniger dazu beigetragen hat. Insgesamt erleben wir eine Art Trauma. Und sobald wir uns mit diesem Trauma emotional beschäftigen müssen, das ist ganz normal, entsteht ein Abwehrmechanismus. Wir wollen am liebsten nichts damit zu tun haben. Wir schieben das Problem anderen zu, den Autofabrikanten, der Gesellschaft, dem Kapitalismus. Oder wir negieren es überhaupt.

Was nützt es schon, wenn ich nicht Auto fahre, aber die anderen trotzdem weitermachen?

Ich nenne es das Prinzip der kleinen Menge. Persönlich trage ich immer nur zu einem ganz kleinen Teil zu dem Umweltproblem bei. Dahinter versuche ich mich zu verstecken, indem ich sage: „Dieses eine Mal.“ So bin ich aus der ganzen Geschichte raus. Das ist menschlich gesehen ganz normal, hier aber fatal. Denn die Folgen schlagen auf uns selbst zurück und verschärfen die Situation. Irgendwann sind wir schockartig mit einem Smogalarm konfrontiert, wo dann das Auto überhaupt nicht mehr benutzt werden darf...

... und trotzdem fahren alle nach dem Smogalarm fröhlich weiter...

... wie das häufig nach Katastrophen und traumatischen Erlebnissen ist. Wir gehen schnell wieder zur Alltagsroutine über und verdrängen es.

Rächt sich die Psyche nicht irgendwann?

Ja sicher, mit jedem Thema, das wir verleugnen, bleiben Reste eines Spannungszustandes. Irgendwo tief in uns wissen wir: Ich tue etwas, das nicht in Ordnung ist, damit müßte ich mich mal grundsätzlich beschäftigen. Was nicht nur bedeutet, nicht mehr Auto zu fahren, sondern auch auf der politischen Ebene etwas zu tun. Diese Spannungszustände bleiben und die abgewehrten Bedrohungsgefühle ebenfalls. Verschiedene Untersuchungen zeigen, daß so eine Art Dauerstreß im Körper entsteht — physiologisch zum Beispiel im Stoffwechsel nachweisbar. Langfristig führt das zu einer größeren Anfälligkeit für Krankheiten.

Es ist also nur meine unfähige Psyche, die mir im Wege steht?

Wir wissen zwar theoretisch, daß wir uns anders verhalten müßten, und wissen auch wie, nämlich nicht Auto zu fahren. Aber da gibt es wieder ein neues Problem. Wenn alle individuellen Klippen genommen sind, dann bräuchten wir auch Verhaltensangebote. Das ist dann ein infrastrukturelles und politisches Problem.

Jetzt liefern Sie aber genau das Argument, wohinter sich die meisten verstecken können, um nicht bei sich selbst anzufangen.

Es erleichtert natürlich die Abwehr. Ich bin mal wieder Opfer, politisch gesehen, und unterlasse es schließlich ganz, von dieser Seite einzugreifen. Denn wenn wir die Politiker beispielsweise dazu zwingen würden, ein anderes Nahverkehrsnetz zu schaffen, könnte relativ schnell etwas verändert werden.

Bisher haben wir uns immer in der heutigen Zeit bewegt. Wie ist es aber zu diesem Verdrängen gekommen, einschließlich der Tatsache, daß wir uns Stück für Stück die eigene Lebensgrundlage nehmen?

Dahinter steckt ein Naturverständnis, das vor einigen Jahrhunderten entstanden ist. Der Mensch war ja immer damit konfrontiert, hilflos den Naturgewalten wie Sturmfluten, Dürre und Seuchen ausgesetzt zu sein. Aus diesem Ohnmachtserleben entstand der Wunsch, diese Natur zu beherrschen, sie kontrollierbar zu machen. Hinzu kam als Schockerlebnis die Einführung des kopernikanischen Weltbildes. Die Erde war plötzlich nicht mehr Mittelpunkt der Welt, sondern drehte sich um die Sonne. Die Ohnmacht des Menschen wurde also noch mal wissenschaftlich belegt. Die Reaktion: ein ungeheures Streben, dieses Gefühl abzuwehren, was zur Intensivierung der Wissenschaft und der Wirtschaft führte. Die Natur sollte untertan gemacht und gleichzeitig der Intellekt besonders hervorgehoben werden. Damit wurde der eigene Körper, der ja auch Natur ist, abgespalten. Die Herrschaft des Kopfes und des Verstandes wurde über die Gefühle gestellt.

Ist die Folge davon, daß wir einerseits Computer und Raketen entwickeln, aber die Tragweite unseres Handelns nicht begreifen können?

Wir haben, um die Natur zu beherrschen, Dinge geschaffen, die wir gar nicht mehr kontrollieren können — so wie der Zauberlehrling in der Ballade von Goethe. Wir haben Autos, die 200 und mehr Stundenkilometer fahren, aber beherrschen die Geschwindigkeit nicht. Folge: Die Unfallraten steigen. Auch dem Abfall unserer Produkte stehen wir relativ hilflos gegenüber, am deutlichsten wird das bei der Atomenergie. Andererseits haben wir durch unsere Wissenschaft und Technik das Gefühl, alles im Griff zu haben. Wir hatten wohl die Hoffnung, mit der Natur gleichzeitig auch unsere Angst zu bändigen. Jetzt stellen wir fest, je mehr wir uns mit der ökologischen Krise beschäftigen, desto mehr haben wir mit Angstüberflutungen zu tun. Wir sind nicht mehr in der Lage, uns realistisch mit der Umweltverschmutzung zu beschäftigen, selbst da, wo wir sie vielleicht technisch noch in den Griff kriegen könnten. Die wirkliche Katastrophe geschieht doch nicht außerhalb des Menschen, sondern in ihm.

Wir können also den selbst herbeigeführten Untergang auch nicht mehr selbst stoppen. Heißt das, psychologisch gesehen ist die Konzeption Mensch falsch?

Der zentrale Punkt ist, wie wir mit Angst, Verletzbarkeit und Tod umgehen.

Was meinen Sie damit?

Wir grenzen alles, was nicht perfekt ist, auch Krankheit, besonders aber den Tod aus. Er findet gesellschaftlich nicht statt, auch aus dem Bestreben, den Allmachtsgedanken zu nähren. In dem Moment, wo ich mir klar mache und es ertragen lerne, daß ich endlich und verletzbar bin, daß ich sterben werde, kann ich auch den bedrohlichen Gedanken wieder zulassen, daß wir uns an einen tödlichen Abgrund manövriert haben, und überlegen, was zu tun ist. Ich nenne das wachsen zu Angstfähigkeit. Wir sind ja heute kaum noch in der Lage, die Stimme des Körpers wahrzunehmen, selbst da, wo wir Anhaltspunkte hätten. Denn unser Körper reagiert sehr wohl auf Luftverschmutzung, dazu gibt es Untersuchungen. Wenn zum Beispiel der Schwefelgehalt in der Luft ansteigt, werden die Menschen depressiver, sind aber nicht in der Lage, den Zusammenhang herauszufinden. Wir merken zwar insgesamt, daß wir uns nicht wohl fühlen, führen das aber nicht auf unser eigenes Handeln zurück.

Heißt das, daß wir psychisch gesehen eigentlich schon tot sind?

Wir stehen an der Schwelle zwischen Leben und Tod, sind also todkrank. Gleichzeitig gibt es aber auch immer wieder Bestrebungen, diese Gefahren aufzuzeigen, zu thematisieren und die Gefahr auszuhalten. Es ist bereits ein Schritt in Richtung psychische Gesundheit, Tatsachen anzuerkennen.

Was hat sich bei Ihnen selbst durch die Auseinandersetzung mit psychischen und ökologischen Zusammenhängen verändert?

Zuerst habe ich gelernt, mich mit meinen eigenen Ängsten vor dem Tod auseinanderzusetzen. Erst dann konnte ich mich mit der Umwelt beschäftigen...

... und haben Ihr Auto abgeschafft?

Nein, das hat aber verschiedene private Gründe. Außerdem wohne ich am Rande von Bremen, wo man abends ohne Auto nicht mehr hinkommt. Tagsüber geht's noch, aber abends fährt kein Bus mehr oder nur alle zwei Stunden... Birgit Ziegenhagen

Sigrun Preuss: Umweltkatastrophe Mensch. Asanger Verlag, Heidelberg 1991, 203 S., kt., 28 DM