: „Wir sahen die nie als Menschen“
1974 wurden sechs Katholiken Opfer eines 16jährigen bei einem UVF-Anschlag ■ Ralf Sotschek aus Dublin
Nur wenige Meter neben dem Buchmacherladen, der am Mittwoch zum Schauplatz eines Massakers wurde, liegt das „Hatfield House“, eine durch Stahlgitter und Videokameras gesicherte Kneipe. Diese Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen, nachdem am 2. Mai 1974 eine Einheit der loyalistischen Ulster Volunteer Force (UVF) in die Kneipe stürmte und eine Bombe warf. Sechs Menschen kamen ums Leben. Zwei der Täter wurden gefaßt und zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Damals waren sie 16 Jahre alt. Einer kam vor drei Jahren auf Bewährung frei. Im Gefängnis hatte er Psychologie studiert und die Prüfung mit Auszeichnung bestanden. Nach der Entlassung erzählte er der nordirischen Zeitung 'Irish News‘, was damals zu seiner Teilnahme an dem Anschlag geführt hatte:
Ich bin mit 14 Jahren der UVF-Jugendorganisation beigetreten. Das war ein logischer Schritt. Ich hatte vorher an zahlreichen Straßenschlachten teilgenommen und ein paar Katholiken verprügelt. Als ich dann hörte, wie viele Menschen bei dem Kneipenanschlag getötet worden waren, konnte ich zuerst gar nicht glauben, daß ich für solch eine drastische Aktion verantwortlich sein sollte. Die übliche Rate bei diesen Anschlägen waren ein oder zwei Tote. Ein Freund von mir kannte einen der Männer, die getötet worden waren, und er sagte, das wäre ein toller Typ gewesen, ein ganz normaler Mensch, der gerne einen trank und sich gern mit Leuten unterhielt. Meine Mutter arbeitete mit dem Bruder eines der Opfer, und sie meinte, die ganze Familie wäre sehr anständig.
Ich dachte, daß ich als UVF-Freiwilliger ein gutes Werk tun und meine Leute gegen die IRA verteidigen würde, die den nordirischen Staat völlig zersetzte. Irgendwas Drastisches mußte passieren. Meine Zweifel wurden vom Haß ertränkt. Wir haben die andere Seite nie als Menschen gesehen, sondern als Tiere. Wenn wir schon nicht die IRA kriegen konnten, dann mußten wir eben ein paar Katholiken abschlachten, da sie die IRA ja offenbar unterstützten.
Im Gefängnis habe ich dann ein paar IRA-Mitglieder kennengelernt und mußte feststellen, daß es eine ganze Menge anständiger Jungs darunter gibt — genauso wie es auch bei den loyalistischen Paramilitärs viele anständige Kerle gibt. Als ich die Bombe warf, war ich noch zu jung, um in einer Kneipe ein Bier bestellen zu dürfen. Jetzt bin ich 32 Jahre alt. 13 Jahre davon habe ich im Gefängnis verbracht. Die Erinnerung an die Nacht 1974 werde ich bis zu meinem Tod in mir tragen. Es ist die traurige Wahrheit, die mir im Gefängnis klargeworden ist: Erst müssen Menschen verletzt oder getötet werden, bevor man den Wert des menschlichen Lebens erkennt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen