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Moralische Anstalt oder Anstalten?

■ Der Hauptdarsteller eines Theaterstücks über die Intifada will nicht nach Berlin kommen/ Kontroverse in der israelischen Presse/ Nun lesen Deutsche den Dialog von Palästinensern

Eine in der israelischen Presse entbrannte Kontroverse um das Theaterstück Reulim ist ein Beispiel dafür, wie aufmerksam die Ausstellung Jüdische Lebenswelten und ihr Rahmenprogramm in Israel verfolgt wird. In Reulim, zu deutsch Die Vermummten, geht es um die palästinensische Intifada. Auf Einladung der Berliner Festspiele sollte das Kameri-Theater aus Tel Aviv dieses Gastspiel am 3. und 4. April auf die Bühne des Studiotheaters bat bringen. Doch Rami Danon, Regisseur und Hauptdarsteller von Reulim, zog seine anfängliche Zusage plötzlich zurück: Er wolle weder nach Berlin fahren, der ehemaligen Hauptstadt der Judenverfolger, noch den Deutschen eine Angriffsfläche gegen Israel bieten.

Israelische Feuilletonisten begannen sich um den moralischen Wert dieser Verweigerung zu streiten: Während die einen vertraten, daß ein Stück über den jüdisch-arabischen Konflikt im Land bleiben müsse und gerade bei den Deutschen nur Mißverständnisse erzeugen könne, fragten die anderen, ob es denn jetzt schon wieder Zensur gebe.

Torsten Maß, künstlerischer Leiter der Berliner Festspiele, war ziemlich perplex. Er hatte im Sommer Israel bereist und sich 30 Theaterstücke angeschaut, um schließlich drei für das Rahmenprogramm der Jüdischen Lebenswelten auszusuchen: Reulim, Die Clique und Arbeit macht frei. Ausschlaggebend für die Wahl von Torsten Maß war seine Überzeugung, daß die Theaterstücke — im Gegensatz zum eher traditionellen Musikprogramm — so aktuell wie möglich sein sollten, das Theater solle als »moralische Anstalt« wirken. Insgesamt fünfmal traf sich der Berliner mit dem Reulim-Regisseur, der laut Maß damals noch »unbedingt« hierher kommen wollte. Hinter dessen plötzlichem Rückzieher vermutet Torsten Maß inzwischen »private Gründe«, im Rahmen seiner Bewerbung um eine Intendanz habe der Mann sich offenbar ein wenig profilieren wollen.

Die anderen Schauspieler und der Autor des Stücks, der 28jährige Ilan Hatzor, sind nach Aussage von Maß »ziemlich wütend« über die Anstalten des Hauptdarstellers. Auch Torsten Maß findet, »daß in Deutschland nicht falsch sein kann, was in Israel gut und richtig ist«. Das Stück sei weder pro- noch antipalästinensisch, sondern »einfach menschlich«, auch er selbst habe »lange nichts mehr gesehen, was mich so bewegt hat«.

Seine Geschichte: Drei palästinensische Brüder treffen zusammen. Der älteste hat sich mit Tellerwaschen in Tel Aviv einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet, der mittlere ist ein ranghoher Intifada-Kämpfer, und der jüngste versucht, zwischen den beiden zu vermitteln, als der Verdacht aufkommt, der älteste habe als »Kollaborateur« gearbeitet. Als schließlich ein Intifada-Kommando an der Tür klopft, um den »Kollaborateur« abzuholen, ersticht der jüngste den ältesten in brüderlicher Umarmung, um ihm Folter und Tod zu ersparen.

Weil jetzt aber der Hauptdarsteller fehlt, werden drei deutsche Schauspieler das Stück vorlesen. Maß hat nun vom 3. bis 5. April ein Wochenende zur Intifada-Problematik organisiert, wo Reulim und auch Die Palästinenserin von Joshua Sobol aufgeführt wird. Anschließend diskutieren Sobol, Reulim-Autor Ilan Hatzor und der palästinensische Theatermacher Fouad Awad über die Konvenienz von Israelis und Palästinensern im Theater. Maß findet diese Lösung »keine Katastrophe«.

Nein, das nicht. Dennoch mutet es seltsam an, wenn nun die Täter-Opfer-Kette gewissermaßen umgedreht werde und Deutsche, deren Vorfahren den israelisch-palästinensischen Konflikt wesentlich mitverursacht haben, in die Rolle von Palästinensern schlüpfen. Die in Israel lebende Theaterkritikerin Schosch Avigal sieht das ähnlich: Das Stück verliere auf diese Weise an Kraft, und es sei die Frage, ob deutsche Akteure das Recht hätten, sich einzumischen. Ute Scheub

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