: Im Zeichen des Stieres
■ Gespräch mit der Pariserin Marie-Sara Bourseiller, der einzigen Profi-Stierkämpferin der Welt, über die hohe Kunst der Tauromachie und die Symbole des Tauromachismo
Mit 16 Jahren beschloß die Pariserin, die elitäre Schule „Lycée Condorcet“ zu verlassen und Torera zu werden. Und weil andalusische Kampfstiere im Bois de Boulogne eher rar sind, zog sie nach Nimes, um die hohe Kunst der Tauromachie zu studieren. Mit großem Erfolg: Marie-Sarah Bourseiller ist heute, mit 27 Jahren und nach rund hundert erlegten Stieren, die einzige professionelle Stierkämpferin der Welt.
taz: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Stier?
Marie-Sara Bourseiller:Es war in Valencia 1984. Aber an den Charakter des Stieres kann ich mich nicht mehr erinnern.
Was ist ein Stier?
Der Stier ist der Mann, die rohe Kraft und die nackte Courage. Er symbolisiert das Männliche so sehr, daß sogar den Matadoren, zumal mit ihren weißen Söckchen und den Spitzen am Kostüm, etwas Weibliches anhaftet. Bei mir ist es allerdings etwas komplizierter. Ich kämpfe zu Pferde, und das Pferd ist ebenfalls ein männliches Symbol, vor allem in Spanien. Ich glaube, für das Publikum repräsentiere ich nicht so sehr die Frau an sich, sondern vielmehr die Amazone.
Wenn es nicht der Mann im Stier ist, den Sie töten wollen: weshalb gehen Sie in die Arena?
Weil Tauromachie eine Kunst ist. Jeder Stier hat seinen eigenen Charakter. Er ist mehr oder weniger tapfer, aufrecht usw. Die Kunst liegt darin, den Charakter des Tieres zu spüren und ihn zum Menschen zu machen. Das klingt komisch, aber so ist es. Der Stier muß Schritt für Schritt in die Ästhetik einer langsamen Bewegung gebracht werden, die ihm als Kampfstier völlig fremd ist. Dieser Augenblick, wenn er eigentlich schon besiegt ist, weil ich ihm meinen Willen und meinen Rhythmus aufgezwungen habe und dann zum Todesstoß ansetze — das ist die hohe Kunst der Tauromachie. Durch einen einzigen kleinen Fehler kann dann alles wieder verloren gehen. Aber nur wegen dieses Momentes gehe ich in die Arena.
Was denken Sie, wenn Ihnen der Stier gegenübersteht, und Sie den letzten Stoß führen müssen?
Das ist der schlimmste Moment. Es ist plötzlich ganz still, und ich spüre zwischen den Schenkeln das Herz des Pferdes schneller schlagen, genau wie mein eigenes — denn das Pferd, wenn es gut ist, ist ebenfalls zu hundert Prozent Torero. Aber es ist sonderbar, ich habe eigentlich keine Angst. Ich denke weder an meinen Tod noch an den Tod des Stieres, ich fühle auch keinen Haß, kein Mitleid. Überhaupt ist der Tod nicht das entscheidende — nur die Geste zählt, die technisch perfekte Bewegung. In diesem Moment denke ich nur noch daran, exakt den einzig möglichen Punkt zwischen den Schulterblättern zu treffen, sonst an gar nichts. Den letzten Stoß kann man nicht mit bloßer Kraft führen, sehen Sie mich doch an! (Marie-Sara wiegt knapp halb soviel wie der taz-Interviewer und rund zehnmal weniger als ein Kampfstier — d.Red.)
Was antworten Sie denn Brigitte Bardot, die Stierkampf für überflüssige Quälerei hält?
Ich respektiere Menschen, die dagegen sind. Weil es nicht zu ihrer Kultur gehört. Aber wer Fleisch ißt, darf nicht gegen Stierkampf sein. Das Tier wird nur an hellichtem Tage, vor aller Leute Augen getötet, das ist der Unterschied.
Wird heute eigentlich anderes tauriert als früher?
Natürlich, der Stierkampf ändert sich mit der Gesellschaft. Alle zwanzig Jahre tritt ein neuer Typ des Toreros auf, der ein Prototyp seiner Epoche ist. In den Vierzigern gab es Manolete, der völlig introvertiert kämpfte, wie ein kalter Faschist. Dann kam in den sechzigern El Cordobés mit seiner Tolle, die ihm in die Stirn fiel wie den Beatles. Ein Pop- Torero. In den Achtzigern hatten wir Paco Oreja, einen Modernen, der Ästhetik mit Courage vereinte.
Apropos Moderne: Paßt es noch in unsere Zeit, Menschen und wilde Tiere zusammen in die Arena zu bringen?
Das ist die eigentliche Frage. Manchmal stelle ich sie mir auch. Das Publikum ist manchmal sehr schlimm. Sobald man nur einen Zentimeter vor dem Tier zurückweicht, pfeifen die Ränge. Da steckt die eigentliche Gewalt! Aber dennoch glaube ich nicht, daß ich den Gladiator spiele. Denn in der Regel geht es ja nicht um Gewalt. Ich verabscheue Gewalt und könnte niemals ein Huhn oder einen Hasen schlachten! Die Menschen kommen nicht in die Arena, um den Tod zu sehen. Sie suchen etwas anderes: so etwas wie die wahren Werte, Tugenden im Rohzustand. In der Arena gibt es noch die klare Trennung von Gut und Böse, die es in unserer Zeit nicht mehr gibt. Stierkampf ist ein stark ästhetisierter Kampf zwischen Gut und Böse. Interview: Alexander Smoltczyk
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