: Betr.: Europäischer Fotopreis
Einerseits sollten sie „noch relativ wenig bekannt“ sein, andererseits „ein ausstellungs- und veröffentlichungsreifes Werk“ vorlegen können: die Bewerber um den Europäischen Fotopreis der Deutschen Leasing AG. 1990 hatten fast 6.000 Fotograf(inn)en rund 27.000 Arbeiten eingereicht, Beleg für den Boom der künstlerischen Fotografie — und für die Attraktion des Preises. Im letzten Jahr behielten sich die Juroren das Vorschlagsrecht vor und präsentierten, mit den drei Gewinner(inne)n, die Arbeiten von insgesamt 16 europäischen Künstler(inne)n in einer Ausstellung, deren Querschnitt als Buch vorliegt. Die farbigen, extrem akkuraten Aufnahmen Thomas Flechtners von Hallen, Fluren, Überdachungen im indischen Chandigarh zeigen, daß die amerikanisch geprägte Dokumentarfotografie mit großer Sensibilität weitergetragen wird. Aber der Schweizer gehört zu den wenigen Fotografen, deren Orientierung am noch irgendwie Gefundenen durch die Jury belohnt wird. Es dominieren Arbeiten, die nur als Kommentar zum fotografischen Verfahren und seiner verfahrenen Produktionsgeschichte verstanden werden können: die Verstiegenheiten des 19.Jahrhunderts leben auf; und der energische Bruch mit dem achsialen Sehen, eingeleitet durch Degas (als Maler und Zeichner) und aufgegriffen um 1915 von Paul Strand, wird rekonstruiert, als könne die Ungeheuerlichkeit des Einbruchs eines „anderen“ Blicks erst im Nachstellen begriffen werden. So macht sich Flechtners Landsmann Hannes Rickli auf in ein vielleicht ein bißchen zu träumerisch benanntes „Honigland“. Im Studio rekonstruiert er — anfangs mit dem Material Zucker (ja, Zucker!) — eine eigentümlich kristallin leuchtende Welt. Leicht verliert sich der Maßstab dafür, ob das zu sehende Ding eine Miniatur ist, oder das Bild ein Makrosystem (die Erde, vom Mond gesehen) miniaturisiert. Die Linse jedenfalls ist nicht Teil des Geschehens, kein Ersatz für das menschliche Auge, sondern dessen Konkurrent, ein technisches Glubschauge, dem der Begriff eines Zusammenhangs — eben der „Welt“ in dem Maß entgleitet, wie es seine Bilder produziert. uez
European Photography Award 1991. Hrsg. Andreas Müller-Pohle, Verlag European Photography, Göttingen. 38 Mark.
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