Sisyphos fröhlich denken

■ Lars Gustafssons „Nachmittag eines Fliesenlegers“

Auf den ersten Blick ist es eine Geschichte über die Vergeblichkeit, die uns Lars Gustafsson da vorgelegt hat. Denn alles ist schrecklich an diesem dunklen, düsteren schwedischen Novembertag: „Das Gras schon von dem ersten Frost gebissen, der Hund schon seit Tagen entlaufen, jegliches Leben unklar und am meisten sein eigenes. Der Garten verwildert, die Landschaft schief.“ Die Menschen, die in diesem Buch vorkommen — und das sind wenige — sind gescheitert. Und versuchen, dem scheinbar Sinnlosen einen Sinn zu geben.

„Wir fangen noch einmal an, wir hören nicht auf“, hatte es in Gustafssons Romantriologie Risse in der Mauer leitmotivisch geheißen. Auch Nachmittag eines Fliesenlegers, das neueste Buch des in Amerika lebenden schwedischen Schriftstellers, ist auf das Prinzip Hoffnung gegründet. Protagonist des kleinen Romans ist Torsten Bergmann, ein 65jähriger Fliesenleger, der wegen eines Magenleidens vorzeitig pensioniert wurde. Er ist alt, müde und alkoholisiert. Seine Frau ist seit einem Jahrzehnt tot, sein Sohn bei einem Unfall ums Leben gekommen. Jetzt nimmt er von Zeit zu Zeit Schwarzarbeiten an.

Die Handlung beginnt an besagtem Novembermorgen 1982, als das Telefon klingelt. Anfänglich begreift Torsten Bergmann nichts, denn wie sein Erfinder hat er die Tendenz, am frühen Morgen wenig zu verstehen. Erst als er am anderen Ende der Leitung den finnischen Akzent bemerkt, wird er aufmerksam. Es ist Pennty, ein finnischer Klempner und Elektriker, den er von anderen Baustellen kennt. Der will wissen, ob Torsten ein paar Tage einspringen kann. Es gilt, in einer Zweifamilienvilla das Badezimmer zu kacheln, und die alten Handwerker sind weggelaufen. Der nette kleine Job kommt Torsten Bergmann ganz gelegen, denn auf dem Küchenschrank stapeln sich die unbezahlten Rechnungen und auch die Fernsehgebühren und die Autoversicherung sind noch nicht bezahlt.

Gustafsson beschreibt minutiös die Arbeit des Fliesenlegens, das Hantieren mit Senkblei und Fliesenkleber, die unterschiedliche Beschaffenheit der Klinker, und die Konsistenz der Fugenmasse. Die Arbeit von Torsten Bergmann, dessen Tagewerk am Ende ebenso sinnlos zu sein scheint wie die mißlungene Arbeit seiner Vorgänger, wird zum Gleichnis für die Vergeblichkeit seines wirklichen Lebens. Und Gustafsson wäre nicht Meister in der Formulierung von Vexierbildern, nutzte er den Verlauf der knappen Handlung nicht, um sie mit Phantasien, Erinnerungen und philosophischen Alltagsbetrachtungen anzureichern. Die Realitätsebene wird so immer mehr von Wunschbildern und Tagträumen überlagert und durchdrungen. Denn während Torsten Bergmann sich an die Arbeit macht, schlägt seine Phantasie Kapriolen. Vor allem kreist sie um eine vermeintlich im Obergeschoß wohnende Person. Von deren Existenz zeugt einzig der Kürzel Sofie K., das anstelle eines Namensschildes auf ein Stück Pappe gekritzelt ist. So ist das ganze vierte Kapitel — es trägt die Überschrift „Hypothesen über Sofie K.“ — der Wunschtraumproduktion Bergmanns gewidmet, die durch Sofie K. in Gang gesetzt worden ist. Einmal ist sie eine schöne Rothaarige im schwarzen Samtkostüm, die ihn auf das zerwühlte Bett wirft, um ihm dann ihre scharfen Nägel in den Rücken zu bohren, das andere mal eine alte Frau mit Krähenfüßen um die Augen, die sich bei näherem Hinsehen als seine Tante Sofie Karlson entpuppt.

Kunstvoll changiert Gustafsson zwischen realen und fiktiven Dialogen und wechselt die Perspektive des Erzählers. Ist über weite Strecken die personale Erzählperspektive Torsten Bergmanns vorherrschend, so kommt mit Stickan, einem Cousin, den er seit seiner Jugend nicht mehr gesehen hat und dessen Leben ebenso nutzlos zu sein scheint wie sein eigenes, auch eine andere Sichtweise zum Zuge.

Obwohl die Handlung insgesamt seltsam imaginär erscheint, ist auch die gesellschaftliche Realität präsent. Beiläufig und lakonisch beschreibt der Autor die Tristesse des schwedischen Alltags. Als Torsten Bergmann seine Arbeit unterbricht, um zum Baumarkt zu fahren, wird der Leser mit der Banalität der schwedischen Konsumwelt konfrontiert, zu der auch der Alkohol gehört. Torsten Bergmann, der, alkoholfeindlich erzogen, die Trunksucht von klein auf für eine Form von Verkommenheit und Unordnung gehalten hatte, hat erkannt, daß der Suff für ihn etwas Wunderbares ist: Nur im Rausch erlangt er „eine Ordnung höherer Art“.

Am Ende der Geschichte scheint alles vergeblich, denn wie der branntweinselige Fliesenleger hat es auch der Leser bereits geahnt: Torsten Bergmann hat die Straßennamen verwechselt, folglich das Bad in einem falschen Haus gekachelt.

Unaufgeregt und manchmal mit sanftem Sarkasmus entfaltet der Text eine eigentümliche Dynamik, die den Leser in Bann schlägt. Trotz melancholischer Passagen ist das Buch heiter und gelassen. Nach seinem letzten großen Roman Die dritte Rochade des Berhard Foy, einem wahren Labyrinth, in dem der Romancier und Philosoph seine ganze Phantasie und Fabulierlust entfalten konnte, ist er wieder zur Kunst der kleinen Form zurückgekehrt.

Nimmt man die nutzlose Arbeit von Torsten Bergmann als Parabel, für die Vergeblichkeit des menschlichen Tuns, dann zeigt Gustafsson immerhin einen kleinen Hoffnungsschimmer. „Wir müssen“, sagt er in Anlehnung an den griechischen Mythos, „uns Sisyphos fröhlich denken.“ Karl-Heinz Stamm

Lars Gustafsson: Nachmittag eines Fliesenlegers , Roman. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel, Carl Hanser Verlag, 140 Seiten, geb., 29,80 D-Mark.