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»Axt im Wald« schlägt in Polikliniken zu

■ Beauftragter der Gesundheitsverwaltung schürt mit markigen Worten Zukunftsängste in Polikliniken

Berlin. »Polikliniken wird es noch in zwanzig Jahren geben«, verkündete noch im Dezember Gesundheitssenator Peter Luther (CDU). Nun versucht sein Beauftragter für die Weiterführung von dreizehn Polikliniken mit achthundert Beschäftigten ihm anscheinend das Gegenteil zu beweisen. Als »Axt im Wald« führe sich Dieter Lullies von der Senatsverwaltung für Gesundheit in den Polikliniken auf, empörte sich gestern Helios Mendiburu (SPD), der Friedrichshainer Bezirksbürgermeister, gegenüber der taz. »Solche Wessis habe ich mir immer gewünscht.« Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Grüne, fordert, Lullies sofort von seinen Aufgaben zu entbinden.

Seit einigen Wochen bereist Lullies die Polikliniken Ost-Berlins und spart dort nicht mit starken Worten. Dies geht aus jetzt an die Öffentlichkeit gelangten Protokollen hervor. Die Ärzte sollten sich lieber noch einmal überlegen, ob sie sich nicht niederlassen wollten, verkündete Lullies in der Kollwitz-Poliklinik in Prenzlauer Berg. Ab 1995 werde es ohnehin keine Polikliniken mehr geben, ließ er die Mitarbeiter im Friedrichshainer Gesundheitszentrum wissen. »Dann hänge ich hier das Vorhängeschloß vor.«

Deswegen beantwortete er auch die Frage nach Investionen mit Nein. »Keine Investitionen, das Haus wird 1995 geschlossen oder verkauft.« Krankenschwestern sollten wie Arzthelferinnen bezahlt werden, so Lullies, überflüssiges Personal werde entlassen. Schwester Bärbel R. kann laut Protokoll der Poliklinik Rudolfstraße in Friedrichshain, obwohl sie »alleinstehend mit zwei Kindern« ist, gekündigt werden. Die Frederic-Joliot-Curie-Poliklinik wird künftig ohne Verwaltungsleiter auskommen. »Verwaltungsleiter gibt es nicht mehr — der sitzt ihnen gegenüber — Rückstufung der Vergütung als Büroleiter BAT III.«

Als »gezielte Abwicklung der Polikliniken« bezeichnet der ärztliche Leiter des Hauses der Gesundheit, Dr. Schulte, Lullies Auftreten in einem Protestschreiben an Gesundheitssenator Luther. »Er macht den Leuten eine derartige Angst, daß die alle abhauen«, erbost sich auch Mendiburu. Er kündigte an, gemeinsam mit den Polikliniken »Protest gegen den Senat zu laufen«.

Unmut regt sich auch im Berliner Abgeordnetenhaus. »Lullies überschreitet meiner Ansicht nach seine Kompetenzen«, ließ gestern Hans- Peter Seitz (SPD), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, wissen. »Polikliniken sollen nach dem Willen nahezu aller Ausschußmitglieder eine faire Chance haben — auch über 1995 hinaus.«

In einer jüngst veröffentlichten Umfrage der Gesundheitsverwaltung hatten sich 92 Prozent der Ost- und 68 Prozent der Westberliner für einen Erhalt der Polikliniken ausgesprochen. jgo

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