piwik no script img

Die neue Unordnung

Pazifistische Nachgedanken zum Golfkrieg  ■ VonPeter Schütt

US-Präsident Bush hat während der Siegesparade in New York den militärischen Erfolg der Operation „Wüstensturm“ zum „Sieg der ganzen Menschheit“ erklärt, ein Siegerurteil, das im krassen Widerspruch zu den Kriegsfolgen für die Besiegten wie die Sieger, aber auch für Unbeteiligte wie die Kurden, die Schiiten im Irak oder die Fischer am Golf steht. Inzwischen beginnt sich der Schleier von Propaganda und Zensur zu lüften. Nachdenken über die lang andauernden Auswirkungen dieses kurzen Krieges tut not. Darum erscheint der von dem Heidelberger Politikwissenschaftler und Orientalisten herausgegebene Sammelband unter dem Titel Nachgedanken zum Golfkrieg, zu dem Robert Jungk das Vorwort geschrieben hat, zur rechten Zeit. Zu den Autoren zählen anerkannte Autoritäten der Friedensbewegung des In- und Auslandes, aber auch ausgewiesene Kenner der Kultur und Gesellschaft im Nahen und Mittleren Osten. Der Bochumer Islamwissenschaftler Reinhard Schulze beschreibt, glossiert und kritisiert die neuen Feindbilder des Westens, die Araber, den Islam und den schiitischen Fundamentalismus, und sieht den aktuellen Antiislamismus in der Nachfolge des überholten Antikommunismus. Der aus dem Iran stammende Politologe Mohssen Masserat umreißt die Folgen des zweiten Golfkrieges für die Region. Nach seiner Auffassung wurde das Saddam-Regime durch den Ausgang des Krieges eher gestärkt als geschwächt. Es hat seine innere Zerreißrobe bestanden und in der arabischen Welt neuen Märtyrerruhm erworben.

Diese Thesen werden durch einen polemischen Beitrag des syrisch- deutschen Orientalisten Bassam Tibi ergänzt. Er beschreibt die Schwierigkeiten der Europäer und Amerikaner, arabische Politik, Rhetorik und Denkweise zu verstehen, und erläutert das anhand der westlichen Auslegung von Saddams Floskel von der „Mutter aller Schlachten“. Die abendländischen Mißverständnisse sind nach Tibis Auffassung gleichsam vorprogrammiert, zum Teil bewußt und gewollt, weil der Westen traditionell für wahr nimmt, was im Osten allenfalls bildlich gemeint ist. Es sind nicht zuletzt die Beiträge solcher „Grenzgänger“ zwischen östlicher und westlicher Kultur wie Masserat, Tibi oder Ferhard Ibrahim, einem aus Syrien kommenden Kurden, der die Lage der Kurden nach ihrem letzten Krieg darstellt, die die „Nachgedanken zum Golfkrieg“ lesenswert machen und sie von jenen Nachhutgefechten abheben, die von den heimischen Großayatollahs à la Konzelmann oder Schall-Latour seit dem „Wüstensturm“ serienweise geliefert werden.

Während Tibi vor allem den Kulturkonflikt als Kriegsursache hervorhebt, betonen die meisten anderen Autoren die Bedeutung des Öls als krisen- und kriegsauslösenden Faktor. Die arabischen Petro-Oligarchien, die nicht zur „Dritten Welt“, sondern zum ökonomischen System der ölverbrauchenden Industrieländer gehören, sind nach Masserats Urteil selber allesamt „künstliche und hochexplosive Gebilde“. Von 1.150 Milliarden Dollar, die ihnen in den achtziger Jahren aus dem Ölgeschäft zugeflossen sind, haben sie ihrerseits 460 Milliarden für Waffenkäufe ausgegeben. Saudi-Arabien und der Irak werden daran zu je einem Drittel beteiligt.

Andere Mitarbeiter des Sammelbandes, so der Psychologe Horst- Eberhard Richter, die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich, der zum streitbaren Kriegsgegner konvertierte Flottillenadmiral Elmar Schmähling und vor allem der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, extemporieren am Beispiel des Golfkrieges die klassischen, nicht immer originellen Positionen der Friedensbewegung. Etwas mehr Selbstkritik hätte ihren Ausführungen nicht geschadet. Nicht zu übersehen ist, daß vor allem die bundesdeutsche Friedensbewegung allzusehr auf den Ost-West-Gegensatz und auf das „Europäische Haus“ fixiert war und die Gefahren regionaler Konflikte lange unterschätzt hat. Eine allzu selbstgerechte Haltung nach dem Muster „Wer für den Frieden ist, hat immer recht“, hat es den deutschen Pazifisten in der Golfkriegsdebatte zweifellos erschwert, sich argumentativ im Streit um die Rolle Israels und um die Gleichsetzung Saddams mit Hitler zu behaupten. Die friedensbewegte Neigung zum flugblattgerechten Weltbild und zu gängigen Losungen — „Kein Blut für Öl“ — wird in dem Sammelband vor allem von dem grünen Nahost- Experten Jörn Böhme und von den beiden deutschen Initiatoren des Friedenscamps in Bagdad, Bertram Salzmann und Henning Zierock von der Tübinger Initiative „Kultur des Friedens“, in Frage gestellt. Sie meinen auch, die Friedensbewegung sollte ihre Lehren aus den neuen Kriegstypen ziehen. Sie rufen auf zur Vernetzung der Friedensinitiativen über Länder- und Kontinentgrenzen hinaus, regen die Einberufung eines internationalen „Friedensparlaments“ im Konfliktfall an und wünschen sich für künftige Kriege einen unabhängigen „Friedenssender“, der beide Seiten möglichst wahrheitsgetreu informiert. Es gibt inzwischen bereits eine ganze Reihe von Publikationen, die sich mit einzelnen Aspekten des zweiten Golfkrieges befassen, etwa mit der Kurdenfrage, der Israeldebatte oder der Lage im Irak. Gegenüber diesen Veröffentlichungen versucht die von Georg Stein zusammengestellte Dokumentation eine erste Gesamtbilanz zu ziehen — aus einer erklärt pazifistischen Grundposition. Im Mittelpunkt des Nachdenkens stehen die menschlichen, moralischen, ökologischen, kulturellen und politischen Kriegsfolgen. Selbst wenn man den erhobenen Zeigefinger einiger Friedensapostel als störend empfindet, gewinnen die pazifistischen Argumentationen durch das konkrete Fallbeispiel doch an neuer Überzeugungskraft. Dem Leser drängt sich der Eindruck auf, die Friedensbewegung habe, all ihrer Hilflosigkeit und Larmoyanz zum Trotz, am Ende doch recht gehabt und mehr weltpolitisches Verantwortungsbewußtsein bewiesen als jene Politiker, die sich mit Milliardenzuschüssen auf die Seite der stärkeren Bataillone geschlagen haben.

Georg Stein (Hrsg.): Nachgedanken zum Golfkrieg. Mit einem Vorwort von Robert Jungk. Palmyra- Verlag, Heidelberg 1991, 300 Seiten, 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen