: Das „Geschwür Nordirland“ entfernen
Kein Durchbruch bei John Majors Krisensitzung zur Eskalation der Gewalt in der britischen Provinz ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die Vorverhandlungen über Mehrparteiengespräche in Nordirland, die erst Ende Januar ergebnislos abgebrochen worden sind, gehen weiter. Das ist das Ergebnis der als „historisch“ deklarierten Krisensitzung, die der britische Premierminister John Major angesichts der Eskalation der Gewalt einberufen hatte.
An dem zweistündigen Gespräch am Dienstag in London nahmen neben Major und den Vorsitzenden der vier nordirischen Parteien auch Nordirlandminister Peter Brooke und Verteidigungsminister Tom King teil. Nur wenige Stunden zuvor hatte die IRA im Londoner Regierungsviertel erneut eine Bombe gelegt. Da es eine telefonische Warnung gab, konnte der Sprengsatz entschärft werden, doch der Verkehr im Zentrum kam für sieben Stunden zum Erliegen.
Niemand hatte von dem Londoner Treffen einen Durchbruch in bezug auf eine politische Lösung erwartet. Doch die anschließende Pressekonferenz machte deutlich, daß es zum wiederholten Mal lediglich um eine Bekräftigung der bekannten Standpunkte gegangen war. Major sagte lapidar: „Bei einigen Punkten hat es Übereinstimmung gegeben, bei anderen nicht.“ Alle Anwesenden seien sich jedoch in der Verurteilung terroristischer Anschläge einig gewesen. Hinter dieser platten Erklärung verbirgt sich die Tatsache, daß es nicht nur im politischen, sondern auch im Sicherheitsbereich tiefe Meinungsverschiedenheiten gibt.
Dafür sorgte schon der Forderungskatalog, den der protestantische Pfarrer Ian Paisley von der „Demokratischen Unionistischen Partei“ (DUP) vorgelegt hatte: Paisley verlangte die Einführung von Personalausweisen, den verstärkten Einsatz der Sondereinsatztruppe SAS, den Aufbau von „Stahlgürteln“ um katholische Ghettos und die Durchsuchung aller Personen beim Verlassen dieser Gebiete, und schließlich die Wiedereinführung von Internierungen ohne Anklage. Diese Maßnahmen waren für John Hume von den katholischen Sozialdemokraten unannehmbar, da sie der Abschaffung grundlegender Bürgerrechte gleichkämen. Darüber hinaus habe die Erfahrung der siebziger Jahre gelehrt, daß Internierungen kontraproduktiv seien.
Major weigerte sich jedoch ausdrücklich, diese Option auszuschließen. Das hat freilich auch einen wahltaktischen Hintergrund: Sollte es nach den britischen Parlamentswahlen, die vermutlich am 9. April stattfinden werden, zu einer Pattsituation zwischen Torys einerseits sowie Labour und Liberalen andererseits kommen, wäre Major auf die Stimmen der 13 unionistischen Abgeordneten angewiesen. Doch die Unionisten fühlen sich in die Ecke gedrängt. Während sie für die Union mit Großbritannien eintreten, wird dieses Verlangen nicht erwidert — im Gegenteil: In London wächst die Ungeduld. Viele Kommentatoren machen die Unionisten dafür verantwortlich, daß die Mehrparteiengespräche immer wieder abgebrochen wurden. Zum ersten Mal sind in der englischen Presse Forderungen laut geworden, Sinn Féin, den politischen Flügel der IRA, an den Gesprächen zu beteiligen. Der Kolumnist des „Independent on Sunday“, Neal Ascherson, trat sogar für einen britischen Rückzug aus Nordirland ein. Er behauptete, daß ihm die meisten Politiker im Unterhaus insgeheim zustimmten: „Für sie ist Nordirland nichts weiter als ein Geschwür, das man entfernen sollte, bevor es bösartig wird.“
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