: Aids-Fälle um eine Million gestiegen
■ Die Weltgesundheitsorganisation legt neue Zahlen vor/ Die Immunschwäche- krankheit wird bald Haupttodesursache bei 20- bis 40jährigen sein
Genf (ap/taz) — Mehr als eine Million Menschen haben sich innerhalb der letzten acht Monate die Immunschwächekrankheit Aids zugezogen. Wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mitteilte, infizierten sich 90 Prozent der HIV-Positiven beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr. Nach Schätzungen der WHO wird Aids in den nächsten Jahren die Haupttodesursache von 20- bis 40jährigen in den Großstädten der Industriestaaten sein. Insgesamt gibt es laut Stand vom 1.1.92 inzwischen zehn bis zwölf Millionen Aids-Infizierte. Bei zwei Mio. Menschen ist die Krankheit bereits voll ausgebrochen. Im vergangenen April litten nach Auskunft der WHO erst 1,5 Millionen Menschen an den Symptomen der Infektion. Aids hat eine Inkubationszeit von zehn Jahren. Die Zunahme der Krankheit bei Frauen hat zu einer Steigerung der Fälle infizierter Neugeborener geführt. Den Schätzungen zufolge sind ein Drittel der 20.000 zwischen 1980 und 1990 in den USA geborenen Babies aidskranker Mütter HIV-positiv. In den Vereinigten Staaten hat sich laut WHO die Rate derjenigen Fälle, in denen die Krankheit durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen wurde, zwischen 1985 und 1991 von drei auf sechs Prozent verdoppelt.
Auch in Lateinamerika sind Drogenabhängige und Homosexuelle nicht mehr die größten Risikogruppen. Hauptübertragungsquelle ist auch hier der heterosexuelle Geschlechtsverkehr. In einigen mittelamerikanischen Staaten hat sich die Zahl der aidsinfizierten Frauen um das vierzigfache erhöht.
Schätzungsweise eine Million Erwachsene sind nach dem Stand vom 1. Januar 1992 im südlichen Afrika HIV-positiv. Laut WHO werden etwa zehn Millionen Kinder unter zehn Jahren aufgrund der Ausbreitung der Krankheit in Afrika im nächsten Jahrzehnt ihre Eltern verlieren. Die WHO erwartet, daß in einigen mittel- und ostafrikanischen Staaten das Bevölkerungswachstum infolge der Seuche um ein Drittel verringert wird. 80 Prozent der Patienten in Großstadtkrankenhäusern seien bereits jetzt von dem Virus befallen.
Schlimmer noch als in Afrika zeichnet sich laut WHO die Entwicklung in Süd- und Südostasien ab. Dort gebe es schon jetzt eine Million Aids-Kranke - die meisten davon in Indien und Thailand - obwohl die Seuche erst im Anfangsstadium stecke. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, daß es im Jahr 2000 insgesamt 30 bis 40 Millionen Infizierte geben wird.
In Deutschland scheinen Infektionen mit dem Aids- Virus häufiger zu sein, als bislang angenommen wurde. Dies ergab eine Studie an fünf Kliniken in München und Erlangen mit sogenannten Anonymen Unverknüpfbaren HIV-Tests (AUT). Im Januar 1992 lagen die über die Laborbefunde bundesweit ermittelten HIV-Infektionen bei 49.761 Fällen. Der Anteil der Frauen steige dabei kontinuierlich an und liege derzeit bei 15,2 Prozent. Der bayerische Innenstaatssekretär Günther Beckstein forderte die Anwendung des AUT-Verfahrens im gesamten Bundesgebiet. An einer bundesweiten AUT-Untersuchung müßten nicht alle Krankenhäuser beteiligt werden, sondern nur spezifisch ausgesuchte Kliniken in Ballungszentren und ländlichen Regionen.
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