: Kochtöpfe zur Konjunkturbelebung
Rezessionsängste plagen die 4.474 Aussteller auf der Frankfurter Konsumgütermesse „Ambiente“ ■ Aus Frankfurt K.-P. Klingelschmitt
Ein Gespenst ging um in der ehrwürdigen Alten Oper zu Frankfurt am Main. Wolfgang Krüger, Vorsitzender des Industrieverbandes Schneidwaren und Bestecke, sah es am Freitag abend als erster — auf der Eröffnungsveranstaltung für die „Ambiente '92“, die als wichtiges Konjunkturbarometer geltende Konsumgütermesse. Nicht Kommunismus, sondern Rezession hieß das Monster, das bereits die Galerie geentert hatte, und im Begriff stand, sich auf den als Festredner geladenen Bundeswirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann (FDP) zu stürzen. Doch der schleuderte dem ungebetenen Gast ein Bonmot des ermordeten Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank AG entgegen: „Wirtschaftspolitik besteht zu 80 Prozent aus Psychologie“.
Wenn „Vertrauen und Vernunft“ Maximen der deutschen Wirtschaftspolitik blieben, habe die Volkswirtschaft auch weiterhin eine Chance, sich frei entfalten zu können. Und damit das Rezessionsgespenst den 4.474 AustellerInnen aus 60 Ländern nicht den „ermutigenden Optimismus von Messeleuten“ raubte, kündigte der Ex-Fallschirmspringer für die nächste Ambiente eine „weiche Landung“ an: Bis zum Jahreswechsel will Möllemann dafür sorgen, daß die durch „unzeitgemäß hohe Lohnabschlüsse“ und staatliche Verordnungen (Pflegeversicherung/ Abfallabgabegesetz) gebeutelte Konsumgüterindustrie durch die Senkung der Einkommen- und Körperschaftssteuern auf einheitlich 46 Prozent spürbar entlastet wird.
Da brandete Beifall auf bei den rund 3.000 handverlesenen Gästen in der Alten Oper. Und als nach Möllemann und dem hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD), der als Chef der rot-grünen Landesregierung den völkerverbindenen Charakter dieser „größen Konsumgütermesse der Welt“ herausstrich, das aus allen Teilen der Welt eingeflogene „Evita“-Musicalensemble Don't cry for me Argentina intonierte, waren auch die Kassandrarufe Möllemanns in Sachen Gatt längst vergessen.
Wenn die Gatt-Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels an der Agrarfrage scheiterten, so Möllemanns düstere Prognose, drohe ein „Rückfall in eine Zeit des Protektionismus und der verschärften Handelskriege“. Deshalb müsse vor allem das „grenzenlose Europa“ offen bleiben — nicht für Flüchtlinge aus aller Welt, sondern für den „freien Welthandel“. Gerade auf dieser Messe werde ein „Ambiente für den freien Welthandel“ geschaffen, meinte Möllemann abschließend. Das italienische Büffet auf den sechs Etagen der Alten Oper war eröffnet, und die versammelten Optimisten stürzten sich auf Meeresfrüchtesalate und Pasti con cozze.
Für die Frankfurter Messegesellschaft ist die aus der alten Frühjahrsmesse hervorgegangene Ambiente, die größte Konsumgütermesse Europas auf 243.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, „Ausdruck der Lebensfreude und des Lifestyle der 90er Jahre“. Zu diesem „Lifestyle“ gehören offenbar Füllfederhalter aus Wildschweinborsten genauso wie Hot Dogs aus Plastik oder — der letzte Schrei — viereckige, stapelbare Kochtöpfe für den Yuppie- Haushalt im Frankfurter Westend.
Daß auch 31 Firmen aus den neuen Bundesländern bereits Produkte für die reichen West-Menschen herstellen, die eh schon alles haben, ist für die Messegesellschaft Beleg dafür, daß man dort „marktwirtschaftlich gesehen Tritt gefaßt“ habe — auch wenn die Ostler noch nicht mit den von Allesandro Mendini präsentierten Designervasen in der „Galeria“ der Messe konkurrieren können. Auch die zusammenklappbaren Zahnbürsten kommen aus Disneyland/USA und (noch) nicht aus dem Erzgebirge.
Insgesamt acht Einzelmessen sind in die „Ambiente '92“ integriert, vom Kunsthandwerk über die Geschenke- und Verpackungsindustrie bis hin zur Schmuckbranche und zu Haushalts- und Küchengeräten: „Ambiente 92 — für Trendsetter des persönlichen Ambiente“ ( Messegesellschft). Noch bis zum kommenden Mittwoch hält der „Treffpunkt der Optimisten“ (Schneidwaren-Krüger) für die erwarteten knapp 100.000 FachbesucherInnen die Tore offen.
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