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Nicht immer verhängnisvoll

Das Videofest '92 parallel zur Berlinale  ■ Von Andrea Winter

Was die Berlinale niemals vollbringen wird, dem Videofest gelingt es: Von 250 Beiträgen stammt etwa die Hälfte aus der Werkstatt von Künstlerinnen. Frauen haben von Anfang an die Qualitätskriterien des Video mitbestimmt, schließlich war das neue Medium (Geburtsjahr und -ort: 1963 in Wuppertal) ein geschichtsloses und von Männern noch relativ unbelastetes Ausdrucksmittel.

Das Videofest '92 konzentriert sich auf Videos aus dem Osten und auf Produktionen aus den USA, dem Herkunftsland fast aller Beiträge von Frauen. Eine Werkschau dokumentiert die künstlerische Entwicklung von Joan Jonas, einer Bildhauerin und Performance-Künstlerin, die 1968 zur Pionierin der Videokunst avancierte. Vertical Roll und Left Side Right Side aus den 70er Jahren sind Video-Selbstbildnisse, in denen Jonas sich mit und durch das Medium beobachtet, Kamera und Monitor wie einen Spiegel nutzt. Diese Selbstbetrachtung per Video ist jedoch keine typisch weibliche Variante; es gibt ebensoviele Männer, die sich ebenso ichbezogen ausgelebt haben. „Meine Stücke handeln von der Kommunikation mit mir selbst“, erklärt Joan Jonas, doch ihre Produktionen der 80er Jahre sind weniger selbstreflexiv, dafür vielfältiger in der Nutzung elektronischer Mittel. So wie Jonas dem Museum als toten Ort für Kunstobjekte künstlerisch etwas Neues entgegensetzt, hat Shelly Silver dem Fernsehen als Kulturträger der Massen den künstlerischen Kampf angesagt. Silver arbeitet stilistisch und formal völlig anders, sie läßt nichts Persönliches in ihre Filme einfließen. Auch ihr ist eine Werkschau gewidmet, die fünf ihrer Filme umfaßt; als ihr ambitioniertestes Werk gilt The Houses that are left,eine Parodie auf Soap Operas, die im Diesseits und im Jenseits spielt. Weitere Filme von Frauen sind in den Programmen History of American Video Art: Feminism und Video Data Bank untergebracht, wo es — neben einer Vielzahl anderer Themen — um weibliche Identität und Sexualität, lesbisches Coming Out und die Geschichte des Vibrators geht.

Im Hauptprogramm Umbrüche und Gewalt werden Filme aus Ostdeutschland vorgestellt. Vor dem Mauerfall gab es in der DDR kaum Möglichkeiten, unabhängig mit Video zu arbeiten. Videoproduktionen gab es allenfalls im Fernsehen, unter dem zensierenden Auge der staatlichen Macht. Mit der Einheit Deutschlands hat sich die Videoszene im Osten entwickelt, doch die Festivalbeiträge bestätigen den Nachholbedarf.

Am erfreulichsten sind 15 Einheitsstücke von Betina Lünser: ironische Grüße vom Tag der deutschen Einheit, aufgenommen zwischen Alexanderplatz und Unter den Linden, drei Minuten kurz, poetisch, auch ohne Kommentar aussagekräftig. Wie ein Stern heißt das Film- Puzzle um Frank Schäfer, eine der bekanntesten Ost-Berliner Tunten. Wie sich's gehört, wenn es um schrille Figuren geht, werden verkitschte Schlager gereicht, historisch garniert mit Bildern aus DDR- Zeiten. Frank Schäfer darf zu lange aus seinem eher kurzen Leben plaudern; den Höhepunkt des Ganzen stellt die penetrante Befragung heterosexueller ZeitgenossInnen dar: „Darf ein richtiger Mann schwul sein?“ So intelligent wie die Frage sind dann auch die Antworten. Es folgt ein dokumentarischer Einheitsbrei, der sich neben der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Problemen in Ostdeutschland durch Einfallslosigkeit auszeichnet, was Form und Stil betrifft. Egal, ob es um Rechtsradikalismus von Jugendlichen, Fremdenhaß oder Resignation und Perspektivlosigkeit geht — Video wird immer nur als technische Möglichkeit genutzt; die Dokumentarfilmer vernachlässigen videospezifische Gestaltungsmittel. Stilisierungen finden statt, wo sie nicht nötig wären: zu sehen sind vergrämte Gesichter, zurückgehaltene Tränen, zu hören sind müde Stimmen. Als hätten wir nicht längst schon verstanden, daß das Leben in ostdeutschen Provinzen derzeit trostlos und öde ist, verweilt die Kamera viel zu lange stumm auf den traurigen Gestalten, nimmt Fabrikschornsteine ins Visier, die im Winter überall abstoßend wirken und kriecht in die schmutzigsten Ecken der schneematschbedeckten Straße hinein. Osten und Verhängnis wäre eventuell ein adäquaterer Titel gewesen (ein bereits abgelaufenes Programm nannte sich nämlich Frauen und Verhängnis). Vielleicht war es verfrüht, ostdeutsche und andere osteuropäsiche Produktionen in das Hauptprogramm zu hieven? Was können die VideomacherInnen jenseits von hier der qualifizierten Videoflut aus Übersee jetzt schon entgegensetzen? Mut zur Technik — und eine Werkschau zur Olympiade.

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