FCKW, scheiden tut weh

Der Ausstieg aus der Produktion der Ozonkiller ist bislang nicht an der Technik gescheitert  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Umweltpolitik mit archaischem Instinkt — das ist es, was westliche Staatsmänner unter dem Ozonloch antreibt. Kaum drohen die vom dünneren Ozonmantel durchgelassenen ultravioletten Strahlen George Bushs Haupt auch an dessen Erholungsort Kennebunkport zu erreichen, Haarausfall oder gar grünen Star zu provozieren, besinnt sich der amerikanische Präsident eines Besseren und will, früher als bisher angekündigt, sein großes Land aus der Produktion zumindest einiger Ozonkiller herausführen. Und kaum droht Bush dem deutschen Umweltminister Klaus Töpfer den Ruf als Ankündigungsweltmeister streitig zu machen, legt auch der Bonner Wirbelwind wieder zu und verspricht, Deutschland bleibt Ausstiegsweltmeister: Wir sind 1993 draußen.

Solcherart sportliche Rempelei zu behindern wäre töricht — in der Umweltpolitik hat man sie seit Tschernobyl kaum mehr erlebt. Verantwortliche Politiker schienen sich mit dem alltäglichen Horror abgefunden zu haben. Sonnenschutzmittel mit höheren Lichtschutzfaktoren halfen bei Reisen auf den Fünften Kontinent oder in die Südsee. Zu Hause aber ging der Tanz auf dem Vulkan weiter. Auf der Konferenz der Umweltminister aus Bund und Ländern 1990 in Berlin beispielsweise hatte derselbe Töpfer, dem es heute nicht schnell genug gehen kann, eine Festlegung auf den Ausstieg aus der FCKW-Produktion vor 1995 noch gegen alle Länderumweltminister verhindert. Dabei hatte bereits Ende 1989 das Umweltbundesamt (UBA) einen Bericht veröffentlicht, in dem es hieß, ein Ausstieg sei in weiten Bereichen wesentlich schneller als bis zum Jahr 1995 möglich.

Hat es also wieder einmal allein an der Politik gelegen, daß nach wie vor und wider besseres Wissen Ozonkiller produziert und verbreitet werden? Frei nach dem Greenpeace- Motto: „Alle reden über das Klima, wir ruinieren es!“ — Im Grunde ja, ist sich Rainer Grieshammer vom Freiburger Öko-Institut sicher. „Der Verlust der Ozonschicht wurde nicht als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen.“ Und das, obwohl spätestens seit 1986 allgemein bekannt ist, daß FCKWs ozonfressende Wirkung haben und das Loch zu unseren Häuptern beängstigend vergrößern.

Die Produktion einer solchen Stoffklasse ist prinzipiell leicht zu stoppen. Die Substanzen, um die es geht, sind einigermaßen klar auszumachen, und der wirtschaftliche Schaden bleibt auf wenige Firmen begrenzt. Weltweit haben die Experten eine Produktion von 800.000 Tonnen (in Deutschland 67.000 Tonnen) und einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar errechnet. Das ist kein Pappenstiel: aber nirgendwo gehen die Lichter aus, und keiner muß frieren, wenn diese Produktion gestoppt wird.

„Unsere Einschätzung über die Möglichkeiten zum schnellen Ausstieg haben sich im wesentlichen von 1989 bis heute nicht geändert“, deutet Holger Brackemann vom Umweltbundesamt die politische Blockade der letzten Jahre an. Daß das Klimagift aus der Spraydose kommt, hatte jede(r) schnell begriffen und auf die Dosen verzichtet. Der FCKW-Verbrauch ging in der Bundesrepublik von 26.000 Tonnen im Jahr 1986 auf 1.000 Tonnen im vergangenen Jahr zurück. Doch in den industriellen Kernbereichen der FCKW-Nutzung war es mit dem Willen zum Ausstieg nicht so weit her.

Folgerichtig ließen die ursprünglichen Ausstiegsfristen bis 1995 den Produzenten und Nutzern die Möglichkeit, ihre zahlreichen Investitionen in die alte, ozonkillende Technologie praktisch voll abzuschreiben. Und das nicht nur in der Bundesrepublik. Erst nachdem der britische Chemiemulti ICI die Schließung seiner 40.000-Tonnen-FCKW-Produktion für 1995 öffentlich machte, konnte auch der britische Umweltminister Michael Hesseltine endlich den Ausstieg für 1995 ankündigen.

Drei Wege aus der FCKW-Falle

Prinzipiell gibt es drei Wege zum Ausstieg aus der FCKW-Produktion. Umweltpolitisch am besten ist es, da sind sich Brackemann und Grießhammer einig, wenn auf die Nutzung, wie bei Lösungsmitteln, komplett verzichtet wird. Nicht ganz so gut, so Brackemann, sei der Ersatz der Ozonkiller durch andere Verfahren. In der Galvanik-Industrie bietet Marktführer Schering beispielsweise seit etwa zwei Jahren praktisch alle Lösungsmittel auch auf Wasserbasis an.

Die schlechteste Lösung für den UBA-Experten ist die derzeit meistdiskutierte: Man will Ersatzstoffe herstellen, die in ihren Eigenschaften den FCKWs möglichst nahe kommen. Favoriten sind dabei das teilhalogenierte, etwas weniger klimaschädliche F22 und der chlorfreie Flurkohlenwasserstoff 134a (FKW). 134a killt zwar gar kein Ozon mehr, heizt aber das Treibhaus Erde noch weiter an. Schon heute sind die FCKWs für rund ein Fünftel des Treibhauseffekts verantwortlich. Und die Produktion von F22 ist von 126.000 Tonnen 1980 auf 220.000 Tonnen im Jahr 1989 gestiegen, beinahe eine Verdoppelung.

Nimmt man die drei möglichen Strategien zum Maßstab, sieht es derzeit für Ozon und Klima trotz der Ausstiegsbekenntnisse ziemlich düster aus.

Beispiel Kälte- und Klimatechnik: Der Einsatz von FCKWs in der Kühltechnik hat sich in den Jahren seit 1986 sogar verdoppelt. Dabei geht schon heute nach Grießhammers Information zwei- bis dreimal soviel FCKW in deutsche Autoklimaanlagen wie in deutsche Kühlschränke, Tendenz steigend. „Und so eine Autoklimaanlage braucht in ihrem Leben dreißigmal so viele FCKW wie ein Kühlschrank in seinem.“ Grießhammer ist auf die Kühl-Industrie nicht gut zu sprechen. Er meint, die Kühltechniker suchten nicht nach wirklichen Alternativen. „Die wollen die gängigen Kühlmittelsysteme nicht wesentlich verändern und suchen deshalb diese Ersatzstoffe.“ Schlimmer noch: 60 bis 70 Prozent des eingesetzten FCKWs werde in der Industrie schon heute wegen Lecks und undichter Anlagen nur nachgefüllt. Dabei könne man im Bereich gewerblicher Kühlanlagen in vielen Fällen eigentlich auch mit einem ozonschichtschonenden Ammoniakverfahren arbeiten.

Beispiel Dämmstoffe: „Mindestens 10.000 Tonnen FCKWs werden in der Bundesrepublik für Dämmstoffe eingesetzt, obwohl es umweltfreundlichere Alternativen gibt“, klagt UBA-Experte Brackemann. Nach jetziger Gesetzeslage dürfen die klassischen FCKWs in diesem Bereich noch bis 1994 verwendet werden. Der weniger chlorreiche Ozonkiller F22 könnte nach der derzeitigen Verordnung sogar noch bis zum Jahr 2000 eingesetzt werden. Ein wichtiges Ausstiegs- hindernis sind bei den Dämmstoffen die Industrienormen: Wenn die Dämmschicht des Kühlschranks nicht dicker, der Kühlschrank nicht größer und das gekühlte Volumen nicht geringer werden darf, dann wird der FCKW-Ausstieg zum Problem. „Man brauchte nur das Kühlvolumen verkleinern und Käse und Milch im Kühlschrank näher zusammenzurücken“, sagt Grießhammer.

Beispiel Elektronik- und Computerindustrie: Hier sind die Aussichten etwas freundlicher. Die Firmen reinigten ihre Leiterplatten lange Zeit mit FCKW-haltigen Lösungsmitteln. Die Lösungsmittel machten noch 1986 den größten Teil der Ozonkiller aus, inzwischen ist der Verbrauch aber deutlich auf „nur“ noch 7.500 Tonnen im Jahr 1991 zurückgegangen. Der Druck war groß genug: Ab dem Jahresende 1992 ist die Nutzung dieser schädlichen Praxis nämlich verboten.

Beispiel Feuerlöscher: Insgesamt 11.000 Tonnen des gefährlichen Halon-Erbes warten derzeit in Deutschlands Feuerlöschern auf ihre Freisetzung. Halone sind spezielle, häufig bromhaltige Kohlenwasserstoffe, die die Ozonschicht noch stärker schädigen als normale FCKWs. Die Bundeswehr, als größter deutscher Verbraucher, sucht inzwischen nach Ersatzstoffen für ihre halonhaltigen Feuerlöscher. Nach einer Greenpeace-Studie verbrauchten die Militärs 60 Tonnen von diesen Ozonkillern im Jahr. Daimler-Benz, früher mit 160 Tonnen größter Verbraucher der Republik, ist inzwischen einen Schritt weiter. Der Konzern hat 1990 die Nutzung halonhaltiger Feuerlöscher in seinen Autos eingestellt.

Ersatzstoffe — Methadon für die Industrie

Reichlich 5.000 Tonnen FCKW- Verbrauch wären heute noch „nötig“, müßten also letztlich ersetzt werden, resümiert Brackemann. Doch derzeit sieht das Resultat trotz aller politischer Sprechblasen eher nach Beschwichtigung aus: Der FCKW-Ausstieg wird zum Einstieg in die vermehrte Produktion von Ersatzstoffen mit den schon skizzierten negativen Konsequenzen. Die Politiker hätten vorzeigbare Fristen erreicht, den Bürgern wäre einmal mehr Tatkraft demonstriert und den Firmen wären neue Verdienstmöglichkeiten erschlossen worden. Hoechst, größter deutscher FCKW- Produzent, plant angeblich, eine Produktion des Ersatzstoffes FCK 134a aufzubauen.

Zu einer durchgreifenden Lösung fehlt also weiter der politische Wille. Oder wie Grießhammer es formuliert: „Wenn man in einem Bereich nur problematische Ersatzstoffe einsetzen kann, dann muß man eben sagen, auf welche Einsatzbereiche man verzichten kann. Autoklimaanlagen gehören in Deutschland sicher dazu.“