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Warnung vor deutschen Parkplätzen

Polizei: Angriffe auf Polen stark zurückgegangen/ 60köpfige Sonderkommission stellte Banden/ Aber weiterhin Überfälle  ■ Von Dorothee Winden

Berlin (taz) — Am 19. Januar 1992 blieb nachts kurz nach 3 Uhr auf der Autobahn Berlin-Frankfurt/Oder ein polnisches Fahrzeug mit einem Motorschaden liegen. Während sich der Fahrer auf den Weg nach Fürstenwalde machte, um Hilfe zu holen, warteten seine beiden Begleiter im Auto. Wenig später fuhren zwei Fahrzeuge heran, eines vor, eines hinter das Pannenauto. Eine Gruppe Jugendlicher stürmte mit Holzknüppeln auf den Wagen los. Sie zerschlugen sämtliche Scheiben und verprügelten einen der beiden Polen. Dem anderen gelang es zu flüchten. Im polnischen Konsulat in Berlin fragt man sich, wie die Täter so schnell auf das liegengebliebene Fahrzeug aufmerksam werden konnten. „Wir schließen daraus, daß diese Gruppe die Autobahnstrecke patrouilliert und überwacht“, so ein Konsulatsvertreter.

„Dafür haben wir keinerlei Anhaltspunkte“, stellt Ulrich Dugas, Polizeiinspekteur im brandenburgischen Innenministerium, dagegen fest. Er hält die Polen für „Zufallsopfer“ einer „potentiell gewaltbereiten Gruppe“. Mit den Raubüberfällen auf Polen, die sich im vergangenen Sommer auf den Brandenburger Autobahnen häuften, sei dieser Fall nicht vergleichbar. Hier handle es sich um eine andere Art von Gewalt, um „spontane Aktionen“.

Trotzdem fühlen sich viele Polen in Deutschland nicht mehr sicher. „Wir hatten eine Welle von Übergriffen nach der Abschaffung des Visumzwangs für Polen am 8. April 1991“, so der Konsulatsvertreter. Zwischen April und November vergangenen Jahres wurden 51 Raubstraftaten gegen polnische Bürger auf Autobahnen begangen, „zum Teil mit außerordentlicher Brutalität“, so Polizeiinspekteur Dugas. Die meisten dieser Überfälle passierten auf den Raststätten und Parkplätzen entlang den Autobahnen zwischen Berlin und der deutsch-polnischen Grenze. Nachts oder in der Dämmerung tauchten die Täter plötzlich auf, schlugen mit Holzknüppeln die Scheiben der Autos ein, bedrohten die Reisenden und raubten sie aus. In polnischen Zeitungen wird davor gewarnt, nachts zu fahren oder auf abgelegenen Parkplätzen zu halten.

Die Brandenburger Polizei reagierte noch im April mit der Einrichtung einer 60 Mann starken Sonderkommission. Sie patrouillierte mit Polizei- und Zivilstreifen die Autobahnen, Spezialkräfte tarnten sich als polnische Handelsreisende und konnten so einige Täter in die Falle locken.

Drei Tätergruppen wurden ermittelt: eine über zehnköpfige Gruppe von Bulgaren, eine Gruppe von rumänischen Asylbewerbern aus Eisenhüttenstadt und eine dritte Gruppe sogenannter „Trittbrettfahrer“. Unter diesen Einzeltätern sind auch zwei Deutsche. Nachdem 39 Tatverdächtige festgenommen werden konnten, ging die Zahl der Überfälle spürbar zurück, die Sonderkommission wurde im Oktober 1991 aufgelöst.

Zwei Tätertypen mit unterschiedlicher Motivation lassen sich feststellen: Die deutschen, meist jugendlichen Täter handeln aus ausländerfeindlichen Motiven. Diese Jugendlichen seien eindeutig rechtsorientiert, eine gefestigte rechte Ideologie sei zumeist aber nicht festzustellen, so die Einschätzung von Dugas. Die ausländischen Täter sind dagegen darauf aus, Bargeld oder Waren zu erbeuten. Ein Vertreter des polnischen Konsulats warnt jedoch davor, die Verantwortung für die Überfälle auf andere Nationen zu schieben.

Er klagt zudem über die seiner Ansicht nach zu schleppenden Ermittlungen. In einem Fall, der bereits im vergangenen September an die Bezirksstaatsanwaltschaft weitergeleitet worden sei, hätten die Betroffenen bis heute keine Nachricht über den Stand der Ermittlungen erhalten.

Der Pressesprecher des brandenburgischen Justizministeriums, Wendt, kann dies nicht bestätigen. Alle Opfer würden über den Ausgang der Ermittlungsverfahren benachrichtigt, sofern sie Anzeige erstattet hätten. Im Normalfall liegen zwischen dem Abschluß der Ermittlungen und dem Beginn der Hauptverhandlung zwei bis drei Monate. Eine Zeitspanne, die sich angesichts der Unterbesetzung der Brandenburger Staatsanwaltschaft sehen lassen kann. Gegenwärtig sind 38 Verfahren wegen Gewalttaten gegen Ausländer anhängig, in 21 Fällen gibt es bereits ein Urteil. Da die Opfer in der Statistik nicht nach Nationalitäten getrennt aufgeführt werden, läßt sich nicht genau feststellen, in wie vielen Fällen Polen betroffen waren.

Wie ernst man das Problem nehme, so Wendt, zeige auch, daß in Frankfurt/Oder Verfahren, in denen es um Gewalt gegen Ausländer geht, Chefsache sind: Der Leiter der Staatsanwaltschaft ist persönlich mit diesen Fällen befaßt. Zudem wurde im Sommer vergangenen Jahres im Land Brandenburg eine Berichtspflicht für Straftaten gegen Ausländer eingeführt: Die Staatsanwaltschaft muß das Justizministerium über alle Straftaten informieren, die Anklageschrift übermitteln und das Ministerium über den Fortgang des Verfahrens unterrichten. Eine derartige Maßnahme gibt es in den alten Bundesländern nicht.

Die fünf neuen Länder und Berlin haben im vergangenen Herbst eine Arbeitsgruppe „Rechtsorientierte Gewalt“ eingesetzt, die ein Konzept erarbeitet hat, um gezielter gegen rechte Gewalttäter vorgehen zu können. Darin ist nicht nur ein intensiverer Informationsaustausch zwischen den Polizeistellen der Länder vorgesehen, sondern den Polizisten vor Ort werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Damit will man der Unsicherheit begegnen, mit der viele Polizisten in den östlichen Bundesländern auf das für sie neue Phänomen rechter Gewalt reagieren. Da das Problem mit polizeilichen Mitteln aber nicht zu lösen ist, hat die Landesregierung eine Interministerielle Arbeitsgruppe „Rechtsextremismus und Gewalt im Land Brandenburg“ ins Leben gerufen. Sie soll Strategien erarbeiten, wie der Gewalt gegen Ausländer vorgebeugt werden kann. An Projekte in der Jugendarbeit wird dabei ebenso gedacht wie an eine verstärkte politische Bildungsarbeit. Ein weiterer konkreter Vorschlag ist die Einrichtung einer „mobilen Kommunalberatung“, die an Brennpunkten den lokalen Behörden, Bürgermeistern und der Polizei beratend zur Seite steht und hilft, lokale Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden voraussichtlich im März vorgelegt.

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