INTERVIEW: „Die Bundes-SPD schwimmt im Fahrwasser der CDU“
■ Niedersachsens Bundesratsminister Jürgen Trittin kritisiert die fehlende eigenständige Flüchtlingspolitik der SPD
taz: Herr Trittin, warum sprechen Sie von einem inhumanen Abschottungs- und Abschreckungsgesetz?
Jürgen Trittin: Dieses Gesetz verletzt etwa für Asylsuchende die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes: Wenn das Bundesamt sagt, dieser Antrag ist offensichtlich unbegründet, bleibt dem Flüchtling nur der Weg zum Einzelrichter, der in den Hardliner-Bundesländern auch noch direkt im Sammellager angesiedelt ist. Gegen die Einzelrichter-Entscheidung soll kein weiteres Rechtsmittel mehr möglich sein. Bei allen Vorschriften, die der Entwurf den Ländern bei der Unterbringung von Flüchtlingen macht, werden dem Bund keinerlei Fristen für die Bearbeitung von Asylanträgen gesetzt. Dies alles führt nur zu einem mehr an Bürokratie, zur Entrechtung von Flüchtlingen, aber keineswegs zu der vielzitierten Beschleunigung.
Künftig wird die Bearbeitungszeit in Zirndorf zur Kasernierungszeit im Sammellager.
Das Gesetz kann dazu führen, daß in vielen Bundesländern Flüchtlinge sich über lange Zeit in sehr großen Einrichtungen aufhalten müssen. Sie können nach dem Gesetz zum Verbleib in der Erstaufnahmeeinrichtung gezwungen werden. Den Ländern bleibt hier allerdings inzwischen ein Gestaltungsspielraum. Wir zumindest werden Flüchtlinge nicht länger als 14 Tage in Erstaufnahmeeinrichtungen unterbringen und sie danach auf Wohnheime verteilen.
Die SPD, hier in Niedersachsen immerhin ihr Koalitionspartner, hat dieses Gesetz mit ausgearbeitet.
Prominente niedersächsische Sozialdemokraten kritisieren das Gesetz, die SPD-Bundestagsfraktion trägt es mit. Das Beschämende dabei ist, daß die Bonner SPD im Grunde alle wichtigen Kritikpunkte an dem Gesetz auf die Ausschußsitzungen des Bundestages vertagt hat, wiewohl sie natürlich weiß, daß in diesen Ausschüssen Schwarz- Gelb die Mehrheit hat. Hier tut man in Fußnoten, als wenn man noch Opposition wäre. Die Bundes- SPD hat aber eine eigenständige Flüchtlingspolitik aufgegeben und schwimmt im breiten Fahrwasser von solchen „Ausländerfreunden“ wie Rühe und Seiters mit. Von den beiden förmlich eingebrachten Änderungsanträgen der SPD-Bundestagsfraktion ist der eine, der die kostenlose Bereitstellung von Erstaufnahmeeinrichtungen durch den Bund fordert, sicher vernünftig, der zweite hingegen für Flüchtlinge höchst gefährlich. Hier verlangt die SPD unter dem Stichwort Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns, daß sich das Bundesamt künftig auch um die Beschaffung von Paßersatzpapieren für abgelehnte Asylbewerber kümmern soll. Diese zentralisierte Beschaffung von solchen Papieren aus dem Heimatstaat kommt doch einer Mitteilung des Bundesamtes darüber gleich, wer in der Bundesrepublik um Asyl nachgesucht hat. In der Türkei fällt etwa ein Asylantrag eines türkischen Staatsbürgers in der Bundesrepublik unter den Straftatbestand „Verleumdung der Republik“.
In rechtspopulistischer Manier glaubt nun die Bonner SPD, das Thema Asyl nun vor den anstehenden Landtagswahlkämpfen vom Tisch schaffen zu können.
Diese Rechnung wird nicht aufgehen, im Gegenteil. Mit immer neuen Forderungen wird die CDU die Sozialdemokraten vor sich hertreiben, die sich in dieser Debatte weigern, für Humanität und Menschenrechte Flagge zu zeigen. Am Ende wird die CDU die SPD vor die Frage stellen, wie sie sich noch einer Verfassungsänderung verweigern könne, wo doch auch dieses Beschleunigungsgesetz, diese Entrechtung, nichts gebracht habe. Dieser Gesetzentwurf führt direkt auf eine Abschneidung des Grundrechts auf Asyl zu. Denn nach der Konstruktion dieses Gesetzes hat es weiterhin der Bundesinnenminister in der Hand, Unterbringungskrisen zu produzieren, je nach Wahlkampfstrategie. Die Länder sind zur Unterbringung verpflichtet, und der Bund entscheidet, wieviel Zeit er sich mit der Antragsbearbeitung läßt. Hier gibt man dem Bund regelrecht das Handwerkszeug für entsprechende Kampagnen an die Hand.
Niedersachsen wird dieses Gesetz im Bundesrat ablehnen...
Unser Kabinettsbeschluß lehnt zum Beispiel die Einzelrichter im Asylverfahren ab. Auf dem Hintergrund dieses Beschlusses sehe ich keinen Raum für eine Zustimmung.
Aber die Ablehnung Niedersachsens wird wenig helfen.
Hessen, Bremen und wahrscheilich auch Brandenburg teilen unsere Kritik, und ich hoffe, daß weitere SPD-regierte Länder sich dem anschließen. Interview: Jürgen Voges
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