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Best of the West

■ Benefiz-Gala im Theater des Westens feierte mit Standing Ovations die Geldmisere der Berliner Aids-Hilfe

Die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen, auf dem Ku'damm bummeln noch die sonntäglichen Daylight-Touristen, bevor sie sich in ihren Pensionen und Hotels auf das nächtliche Amüsementangebot der Metropole vorbereiten, da leutet das Theater des Westens — es ist erst 18 Uhr — bereits das Nachtleben ein. Helmut Baumann hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper Berlin zu einer Benefiz-Gala zugunsten des Vereins »Freunde der Berliner AIDS-Hilfe e.V.« geladen. Mit dem Besten aus dem Repertoire der leichten Muse will er sein Haus füllen. »Highlights aus der Welt des Musicals« stehen auf dem Programm, anschließend Häppchen und Sektempfang.

Und wirklich, das Parkett des Theater des Westens ist gut gefüllt. Illustre Gesichter stellen sich dem Volke zur Schau, bevor das Licht im Saal gelöscht wird. Immerhin, wer sich hier hinsetzt, hat 80 DM für seine Karte bezahlt, und sich damit natürlich auch die bewundernde Sympathie der höheren — und billigeren — Ränge verdient. Auch auffallend viele gutaussehende Männerpaare in Spencer und Fliege lustwandeln im Foyer, stellen solargebräunt ihre Gesundheit zur Schau. Man sieht sich, grüßt sich, kennt sich — untereinander. Die beiden Gruppen schieben aneinander vorbei, nehmen sich höflich zur Kenntnis und dann ihre Plätze ein. Ouvertüre.

Rolf Kühn hechtet durch das Auftakt-Medley, als habe er die Weisung, in jedem Fall bis 20 Uhr mit dem Programm durch zu sein. Kaum daß die letzte Pauke verhallt ist, hebt sich der Vorhang und das TdW-Tanzensemble rast auf die Bühne, um zu zeigen, wie hoch die Herren und Damen vom Ballett ihre Beine schwingen können. Dann geht es weiter und weiter, Lied folgt auf Lied, Star auf Star und Applaus auf Applaus. Mal fährt ein Piano nebst Pianist auf die Bühne, neben dem dann ein Solist konzertante Sangeskunst vorführt — das sind meist die Kollegen der Oper —, mal wird das gesammte Glitzer-Repertoire der Musical- Bühne aufgeboten — hier ein wenig Charity, dort ein bischen Follies. Angelika Milster kommt in Nahtstrumpfhose und Pailletten-Sakko auf die Bühne und zelebriert Being alive. Das bringt ihr Bravo-Rufe ein, für die sie sich — nur nicht lumpen lassen, heute ist Benefiz — mit koketten Kußhändchen bedankt.

Clemens Bieber gibt uns den Toni aus der West-Side-Story gleich mit zwei verschiedenen Marias, Cusch Jung zeigt die vielleicht witzigste Nummer des Abends I got rhythm, zusammen mit vier zartbeschürzten Damen. Gemeinsam steppen sie, was das Zeug hält, und als Cusch Jung am Ende immer noch die Puste für das gesangliche Finale aufbringt, tobt das Parkett vor Begeisterung.

Es ist ein Repertoire der Gegensätze. Denn kaum ist die Luft vom Gershwin-Swing wieder gereinigt, interpretiert Gwendolyn Bradley, der heimliche Star des Abends, Glitter and be gay von Leonard Bernstein so dicht und gekonnt, daß das Publikum schier das Atmen zu vergessen scheint. Es ist schon ein großer Abend! Da läßt sich auch Helmut Baumann nicht lumpen und gibt uns noch einmal sein unvergessenes Ich bin, was ich bin — diesmal ganz ohne Mascara und Federboa. Dafür feiert ihn natürlich vor allem die solarbraune Fraktion auf den hinteren Plätzen, und so geht man dann allseits begeistert in die Pause. Da ein bißchen sehen, ein bißchen gesehen werden. Hier die Herren in den teuren Spencern, dort die Damen mit den hochhackigen Pumps. Man kennt sich untereinander, sonst kennt man sich nicht. Schon klingelt es wieder — zweiter Teil.

Es ist auch ein Abend der kleinen Pannen im sonst so durchgetimten Theater des Westens. Mal geht ein Vorhang hoch, wo er's nicht soll, mal verpatzt (wer?) ein Einsatz. Irgendwie ist es beruhigend zu sehen, daß auch die perfekte Scheinwelt des Showbusiness nur ein Produkt zäher Proben ist. Die Kollegen der Oper haben ihre liebe Not mit dem ihnen unbekannten Orchester und dem unverändert hetzenden Rolf Kühn. Hin und wieder findet man den Gleichklang erst in der Mitte des Liedes oder, wie bei der Nummer von Thorsten Kreissig und Cuco Walraff, gar nicht. Die beiden Musical-Preisträger 1991 wollen noch einmal mit ihrer Glanznummer I can do that brillieren, wollen steppen und tanzen, singen und swingen nach besten Kräften — und leider viel schneller als ihr Pianist Ostojski, der offensichtlich etwas unsicher vom Blatt spielt. Man hätte ihnen eine Probe mehr — oder besser: den Tänzern die Klavierbegleitung von Frau Brückner bewilligen sollen. Vielleicht hätte Kreissigs Pirouette dann hingehauen, statt daß es ihn hinhaut. Egal! Das Publikum war auch so zufrieden. Bei den Eintrittspreisen läßt man sich das Vergnügen nicht so mir nichts, dir nichts verderben...

Als Brigitte Mira auf die Bühne kommt, wird sie mit einem Auftrittsapplaus empfangen, der selbst das an alles gewohnte Ballettensemble ins Staunen versetzt. Zwar kann Brigittchen immer noch nicht singen, aber das macht sie wieder so gekonnt, daß ihr für Broadway Baby tosender Applaus sicher ist. Nun geht es schon dem Ende zu. Angelika Milster singt ihr ganz persönliches Lieblingslied Send in the clowns — nun hat sie auch ihr kleines Schwarzes rausgeholt—, dann kommt schon Gwendolyn Bradley zum Finale auf die Bühne und singt die schönste Version von He's got the whole world in his hand, die die Welt je gehört hat. Noch mal Bravo, noch mal Toben. Dann stehen sie alle auf der Bühne, die Milster, die Mira, der Kreissig, die vielen Marias und der eine Toni, klatschen in die Hände — das Publikum schlägt ein, und natürlich schon wieder arhythmisch — und intonieren gemeinsam das alte Gospellied von der Welt in Gottes Hand. Der Applaus will gar nicht enden, mit Standing ovations werden die eben doch nicht umsonst Auftretenden gebührend gefeiert. Ein bißchen bejubelt sich das Parkett natürlich mit, bei dem Eintritt haben sie's sich ja auch verdient. Ach, was war das für ein schöner Abend! So beschwingt und so problemfrei. Das Wort »positiv« ist kein einziges Mal gefallen, der Informationsstand der Berliner Aids-Hilfe bleibt auch beim anschließenden Sektempfang diskret verwaist. Wer sollte sich dort auch informieren wollen? Die einen, die mit der Solarbräune und den Spencerjacketts, wissen doch eh schon Bescheid, und die anderen? Sie wollen es gar nicht wissen.

Auch wenn es niemand gerne hört, auch wenn es so wenig in einen solchen Benefiz-Abend wie in den öffentlichen Sparplan paßt: Die Zahl der HIV-Infizierten nimmt immer noch zu, und es ist kein Ende abzusehen. Das ist inzwischen kein aktuelles, sondern ein dauerhaftes Problem geworden, und weil öffentliche Gelder fast ausschließlich für aktuelle Notlagen ausgegeben werden, hat der Staat nun nach eigenen Angaben dringendere Aufgaben zu lösen als die Finanzierung der Aids-Projekte. Wir müssen deshalb dankbar sein, daß es Initiativen wie diese Benefiz- Gala gibt, bei der die Künstler auf ihre Gage verzichten und die Aids- Hilfe darauf, inhaltlich am Geschehen teilzuhaben. Bei Canapes und Sekt freute man sich an diesem Abend im Theater des Westens noch lange seines Lebens, feierte sich, die anderen und die eigene Großzügigkeit. Ganz schön positiv. Klaudia Brunst

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