: Bannsprüche gegen die Résistance
Wie mitschuldig waren die katholischen Bischöfe in Frankreich am Vichy-Regime? ■ Aus Paris A. Smoltczyk
Der Gottesmann beschwor seine Feder zur Besonnenheit, aber sein Memorandum liest sich stellenweise wie die Philippika des Paulus: „Aus mehr als einer Region gab es gute und würdige Priester, die öffentlich den Sieg Hitlers erflehten und gegen jede Résistance ihren Bannfluch schleuderten — manchmal kam es leider noch schlimmer. Es gab blutige Dramen. Diese Dinge wären nicht geschehen ohne das Versagen der Bischöfe. Mehrere von ihnen tragen an ihren Händen das Blut ihrer Priester...“ So und nicht anders zu lesen in einem „strikt vertraulichen“ Dokument aus dem Jahre 1944, betitelt: „Die Frage der Bischöfe unter der Besatzung“. Die siebzehn Manuskriptseiten wurden von der honorigen 'Revue des Deux Mondes‘ in ihrer Februarausgabe veröffentlicht. Als Autor zeichnet ein Jesuitenpater— angeblich niemand anderes als der spätere, im letzten Jahr verstorbene Kardinal Henri de Lubac.
BBC-Hören galt als Sünde
Der Text zeichnet das Bild eines Klerus, der vom Kult des Marschall Pétain tiefer durchdrungen ist als vom Evangelium; der sich, wenn auch nur durch sein Schweigen und Indifferenz, in den Augen der Bevölkerung auf die Seite der Kollaboration gestellt hatte. „Es regnete Bannsprüche“ gegen die Résistance, schreibt de Lubac weiter. Bischöfe präsidierten bei Banketten zu Ehren der Phalange und der Miliz. Ohne jeden Widerstand unterwarfen sie sich der Zensur, ja, viele Diözesen verboten ihren Schäfchen das Hören der BBC. Es gab Pétain-Bilder auf dem Altar.
Im besetzten Frankreich hat es, vor allem nach dem Beginn der Judendeportationen, mutige Worte und Interventionen hoher katholischer Würdenträger gegeben. Am 22. August 1942 ließ der Kardinal der Diözese Toulouse einen Hirtenbrief verlesen, in dem die französischen Behörden angeklagt werden, die Juden wie eine „Herde Vieh“ zu behandeln. Nach dem Memorandum des Jesuitenpaters zu urteilen, waren dies bis zuletzt vereinzelte, um so mutigere Aktionen. Während die anfängliche Pétain-Begeisterung der Bevölkerung rasch abflaute, blieb im Klerus die Auffassung vorherrschend: „Pétain, das ist Frankreich, und Frankreich ist heute Pétain!“, so der Lyoner Erzbischof Gerlier im Herbst 1940.
Der Verfasser macht die mangelnde geistige Unabhängigkeit der Kirche für ihr Versagen verantwortlich. Viele Bischöfe seien „wie besessen von dem Problem der politischen Macht und der Legitimität Vichys“ gewesen. Und in der Regel mehr besorgt um ihren Opferstock als um ihre geschundene Gemeinde: „Die Bischöfe waren die einzigen, die, wenn sie nur gewollt hätten, sprechen können“, schreibt der Pater. Doch sie schwiegen — froh, daß die gottlose III. Republik endlich beendet war und der Staat die konfiszierten Kirchengüter am 15. Februar 1941 wieder zurückgab (einschließlich der Grotte von Lourdes).
Daß der Text, im Besitz des katholischen Philosophen Jacques Maritain befindlich, über vierzig Jahre lang im Verborgenen schlummerte, ist wohl kaum ein Zufall. Noch immer ist eine derartiges „Mea culpa“ aus hohen Kirchenkreisen ein brisantes Unterfangen. Nicht allein weil sich die französische Kirche niemals zu einem Schuldbekenntnis hat durchringen können. Sondern weil die Ideologie Vichys, die Dreieinigkeit „Familie-Arbeit-Vaterland“ nach wie vor zum Fundus fundamentalistischer Gotteskinder gehört. Die extreme Rechte baut darauf. Jean- Marie Le Pens Attacken gegen Abtreibung, Islamschulen und sonstige Vorzeichen des zerfallenden Abendlands, seine Messen zu Ehren der Jeanne d'Arc sollen ihn als Bündnispartner der Papisten empfehlen.
Le Pen und die Papisten
Erfolg hat er bislang allerdings nur bei dem traditionalistischen Flügel der Kirche. In Paris ist die Kirche Saint-Nicolas-du-Chardonnet der dominikale Aufmarschort für Leugner des Holocaust, für Monarchisten, Front-National-Anhänger und andere fromme Sünder. In den Predigten wird munter gegen diverse „Internationalen“, gegen „Kosmopolitismus“ und demokratischen Laxismus gewettert.
Wenn nur irgend möglich, vermeidet die Kirchenhierarchie, es sich mit den Integristen zu verderben. Nach dem Ausschluß des Monseigneur Lefebvre geht die Politik eher dahin, möglichst viele Traditionalisten wieder in den Schoß von Mutter Kirche zu locken.
Inwieweit diese Kreise mitunter auf Unterstützung hoher Kirchenmänner bauen konnten, wurde durch die Affäre Paul Touvier aufgedeckt. Touvier war der Chef der Milizen in Lyon und der letzte Kollaborateur, nach dem wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gefahndet wurde. Bis 1989 gelang es ihm dank einer höchst effektiven Kutten-Connection, unbehelligt in Frankreich zu überleben. In Frieden und Frömmigkeit: Touvier wurde von den „Chevaliers de Notre-Dame“, einer pétainistischen Pfadfindertruppe, von Kloster zu Kloster gereicht. Diese ultrarechte Gruppierung hat unter ihren etwa hundert Mitgliedern zahlreiche Ex-Kollaborateure und Algerienkämpfer der OAS. Und noch jedesmal, wenn sie an die Pforte der Kathedralen in Chartres klopfte, wurde ihnen der Gebrauch des Gotteshauses für ihre Messen gewährt.
Derartige Fluchthilfeaktionen von Seelsorgern sind in der katholischen Kirche nichts Ungewöhnliches. Auch Klaus Barbie ließ sich 1951 von der „Päpstlichen Hilfskommission“ Genua nach Bolivien schleusen. Dennoch war die Verlegenheit der Kirchenfürsten groß, als Touvier 1989 in einem Priorat der „Chevaliers“ in Nizza verhaftet wurde. Der gallische Primas Kardinal Decourtray beauftragte zwei renommierte Historiker, René Rémond und Francois Bédarida, mit der Erstellung eines Berichts über die Verantwortung des katholischen Klerus in der Touvier-Affäre. Der im Februar als Buch erschienene Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß die ins Zwielicht geratenen Bischöfe aus eigener Überzeugung gehandelt hätten. Die Kirche als Institution sei unschuldig. Te absolvo.
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