Auch die Sünden des Vatikans sind archiviert

Enthüllungen über Fluchthilfe für Naziverbrecher bringen den Vatikan ins Gerede/ Solidarność erhielt vom Heiligen Stuhl nicht nur seelischen Beistand, sondern in Kooperation mit dem Weißen Haus auch Geld und genaue Dienstanweisungen  ■ Aus Rom Werner Raith

Nach der verdächtigen Ruhe der Sturm: Unversehens hat die Enthüllungswelle aus bisher verschlossenen Archiven auch den Vatikan erfaßt. Böses kommt aus Ost wie West, über Mauscheleien und Kollaboration mit Nazis gleich nach dem Krieg und über untergründliche Zusammenarbeit mit CIA-Leuten und Dunkelmännern noch in jüngster Zeit. Vatikan-Sprecher Joaquim Navarra hat alle Hände voll zu tun, das eine als „längst widerlegte Fälschung“, das andere als „legitimen Gedankenaustausch“ oder „humanitäre Hilfe“ darzustellen.

Die neu ausgebrochene Milde gegenüber den Realsozialisten und die Strenge gegenüber der eigenen westlichen Klientel wurde von den Vatikanologen zunächst als Beginn einer neuen Moralisierung gewertet, die der Heilige Vater weltweit in Szene setzen wollte; tatsächlich stand wohl auch die seit längerem beobachtete Absicht des Karol Wojtyla dahinter, dem sich neu formierenden Islam nicht das Feld für eine neue Ethik im Umgang der Menschen miteinander zu überlassen. Doch die Warnung vor „Triumphalismus“ und „Arroganz“ des Westens hatte wohl noch andere Gründe.

Sie deuteten sich bereits an, als der „Osservatore romano“, das päpstliche Sprachrohr, in immer häufigeren Stellungnahmen die Vergangenheitsbewältigung mit Hilfe von Dokumenten aus dem Osten zu dämpfen und seit einiger Zeit auch scharf zu kritisieren begann. Höhepunkt: eine engagierte Stellungnahme gegen die Nutzung eines Briefes des italienischen KP-Führers Palmiro Togliatti aus dem Jahr 1943 für den derzeit gerade laufenden Wahlkampf. „Die Geschichte ist kein politisches Instrument“, erklärte der Leitartikel, und „nicht alles, was aus heutiger Sicht infam erscheint, war damals anders zu bewältigen.“

Die Nachsicht mit ans Licht kommenden Schandtaten erklärt sich vollends, seit nun auch der Vatikan durch diverse Enthüllungen aus Archiven in immer schieferes Licht gerät.

Begonnen hatten die peinlichen Erkenntnisse, als der italienische Staatsfernsehsender RAI nach den — im übrigen teilweise gefälschten — Enthüllungen über Togliatti auch die Haltung des damaligen Papstes Pius XII. zu den Großen der Zeit untersuchte und dabei auf vieles Merkwürdige stieß. So soll Eugenio Pacelli, vor seiner Wahl lange Nuntius in Berlin, im Umgang mit ihm anvertrauten Hinweisen auf Verschwörerzirkel gegen Hitler sehr sorglos gewesen sein und die Namen ohne Vorkehrung weitergegeben haben, was die Oppositionellen wiederholt in schwere Gefahr brachte.

Kurze Zeit nach dieser Fernsehdokumentation kam aus Argentinien neue ungute Botschaft für die Kirchenleitung. Die vom dortigen Staatspräsidenten Menem geöffneten Staatsarchive erhärteten, was Nazi-Fahnder wie Simon Wiesenthal schon länger behauptet hatten: daß nach dem 2. Weltkrieg hohe Kuriale und Botschafter des Vatikans in einen schwunghaften Transfer ausgebüchster NS-Größen nach Südamerika verwickelt waren; einer der Fluchthelfer soll der nachmalige Papst PaulVI. gewesen sein.

Einige der Anklagen waren seit langem bekannt, französische Kirchenkritiker hatten der dortigen Kirche schon früher eifrige Kollaboration mit dem nazifreundlichen Vichy-Regime nachgewiesen. Doch das ganze Ausmaß der Fluchthilfe deutet sich erst jetzt durch die — noch nicht einmal vollständigen, weil „gereinigten“ — Dokumente aus Buenos Aires an.

Kaum hatte Lautsprecher Navarra die argentinischen Enthüllungen als „längst widerlegte Schmutzkampagne“ abgetan, kam neue Unbill: Carl Bernstein, einer der beiden „Watergate“-Enthüller, begann nach monatelangen Recherchen in Italien in der 'Time‘ mit einer Artikelreihe, in der er eine geheime „Heilige Allianz“ zwischen dem Vatikan und Ronald Reagan beschreibt.

Bei der ist so ziemlich alles zusammengemischt, was dem Normalbürger Gruseln und Abscheu kommen läßt: Geheimdienstler der CIA, Dunkelmänner aus allerlei Logenzirkeln (wohl vor allem vom kriminellen Geheimbund „Propaganda 2“), skrupellose Bankiers, als Spione arbeitende Priester und Gewerkschafter, ihre diplomatische Immunität ausnutzende Kardinäle und Minister sollen, nach Bernstein, Anfang der 80er Jahre zusammengewirkt haben, um das Jaruzelski-Regime in Polen aus den Angeln zu heben.

Daß der Heilige Vater, selbst Pole, die Gründung der Gewerkschaft Solidarność mit wohlwollendem Blick verfolgt hat, war natürlich auch vorher klar, und daß ihm die Hilfe aus den USA sehr willkommen war, ebenfalls. Auch wußte man aus den Akten über den Zusammenbruch des Mailänder Geldinstituts „Banco ambrosiano“, das der Loge „Propaganda 2“ gehörte, daß von dort an die 40 Millionen Dollar (deren illegale Entnahme hernach den Kollaps mit verursachte) für Walesas Truppe lockergemacht worden und — möglicherweise im Diplomatengepäck des Papsttrosses bei dessen Polenbesuchen — nach Polen verbracht worden sind. Doch Bernstein enthüllt nun, wie eng Vatikan und amerikanische Administration — die offiziell erst in den achtziger Jahren diplomatische Beziehungen aufgenommen haben— zusammengearbeitet haben und dabei überwiegend konspirativ vorgegangen sind. Ohne Bedenken haben sie sich wohl wenig vertrauenerweckender Gestalten bedient und dabei auch kräftig in die interne Politik der Solidarność hineinregiert. „Tonnen von Ausrüstung“, so Bernstein, seien über Dänemark und Schweden nach Danzig geschmuggelt worden, von Faxgeräten bis Computern, von Propagandamaterial bis zu fertigen Untergrund-Plakaten. Vor allem aber habe es direkte Anweisungen an die polnischen Gewerkschaftsführer gegeben, wie sie sich zu verhalten hätten — immer gerade so, daß die Sowjets keinen glaubwürdigen Anlaß zum Eingreifen hatten, aber gleichzeitig auch Jaruzelskis Pläne einer internen Befriedung nicht vorankamen.

Das „Problem für den Vatikan“, so ein Kommentar im staatlichen Rundfunk RAI, „ist jetzt nicht so sehr, die enge Abstimmung Wojtyla— Reagan zu erklären, das ist ja zwischen Staatsoberhäuptern, und der Papst ist auch ein solches, legitim. Das Problem ist, zu erklären, ob man sich seitens der Kirche für die Verwirklichung moralischer Ziele tatsächlich mit Geheimdienstlern und wenig honorigen Gestalten einlassen darf.“