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GASTKOMMENTARVon Hanf ist die Rede

■ Die Lübecker Strafkammer hält das Haschischverbot für verfassungswidrig

Manchmal verwundert, wenn das Überfällige doch noch geschieht und auch noch in der scheinbar falschen Zeit. Ausgerechnet nun, wo zur Freude der Bundesregierung der Differenzierungsverlust total geworden ist und nur noch von „Drogen“ geredet wird, will's eine Kammer genau wissen und schickt 1,1 Gramm Cannabis nach Karlsruhe. Ob Herr Herzog der rechte Mann für diesen Stoff ist, darf bezweifelt werden, doch die Meldung ist schön für die tollen Tage.

Dabei wurde doch alles schon tausendmal gesagt. Selbst Herr Täschner, der Liebling aller Staatsanwälte, mußte Alkohol fünfmal gefährlicher als Haschisch einstufen. Selbst in Den Haag wurde festgestellt, daß die Schäden eines Strafverfahrens bei Jugendlichen mühelos selbst die wüsten Kiffens übertreffen. Und natürlich wissen alle Richter und Staatsanwälte, daß uns die vielbeschworenen „Internationalen Abkommen“ nicht hindern würden, mit dem Stoff holländisch umzugehen, daß die „Einstiegsdrogentheorie“ milde gesagt Tinneff ist und das ganze Justizbrimborium zur Lösung der Drogenprobleme so geeignet ist wie ein Igel als Klopapier. Nur unsere Bundesgesundheitsministerin hofft wie alle Vorgängerinnen „mit allen Mitteln der Repression auf eine drogenfreie Gesellschaft“, als hätte es die je wo in der Menschheitsgeschichte gegeben. Ist sie betütert? Da die Justiz bekanntermaßen blind ist und vor die Lebenswirklichkeit stets das Erwünschte setzt, führt sie von den BKAmtlich geschätzten fünf Millionen Kiffern jährlich jeden 109. exemplarisch vor. Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt 25 Minuten, und die lohnen, da jährlich 65 Millionen in die Staatskasse gespült werden. Von Hessen an südwärts kostet's auch noch den Führerschein, aufgrund der „Flashback-Theorie“, die seit 15 Jahren als Humbug erwiesen ist. Auch die Polizei ist zu rühmen. Von den 300 Tonnen, die jährlich bundesweit verkifft werden, zockt sie stolze fünf Prozent ab und muß gelegentlich zugeben, daß es „immer noch Schlupflöcher“ gebe.

Ach ja, wer an die vielbeschworene „Cannabis- Psychose“ glauben will, kann sie an diesen Fällen erleben. Alle Argumente gegen diesen Wahnsinn sind ehrwürdig und werden seit jenen 25 Jahren ignoriert, die unsere Öffentlichkeit mit dem Stoff lebt. Die Lübecker Entscheidung paßt zu den tollen Tagen. Mal sehen, ob uns danach der normale Irrsinn wieder einholt oder ob anhand einer marginalen Frage etwas Lebenswirklichkeit in unser Rechtswesen geschleust werden kann. Hans-Georg Behr

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