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Neu in der Schauburg: „Hitlerjunge Salomon“

Das Leben, wenn es Geschichten schreibt, stellt jedes Drehbuch in den Schatten. Und hätte ein Drehbuchautor den „Hitlerjungen Salomon“ erdacht: kein Produzent hätte einen Pfifferling herausgerückt für die Verfilmung dieser so märchenhaften Rettung eines polnischen jungen Juden. Aber der „Hitlerjunge Salomon“ ist nicht erfunden. Er lebt, hat überlebt — nicht im Versteck, sondern an vorderster Front gewissermaßen: in Wehrmachtsuniform, in einer „Eliteschule“ für junge Nazis. Und immer, wenn die Entdeckung — oder die Exekution — bevorstand, legte das Schicksal Zufälle in seinen Weg, die nur als Wunder zu bezeichnen sind.

Salomon Perel lebt heute als alter Mann in Israel und hat die Geschichte, die seine ist, in einem Buch erzählt. Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland hat einen Film daraus gedreht, mit dem ihr ein seltsames Kunststück gelungen ist: die Wahrheit wird in der filmischen Erzählung zur Abenteuerplotte, die einem wild fabulierenden Phantastenkopf entsprungen scheint.

Marco Hofschneider spielt die Rolle des Salomon mit der Treuherzigkeit eines naiven Bubis, der sich aus einer Fernseh-Familienserie verlaufen hat und nun zwischen Komparsen in Wehrmachtsuniform oder KZ-Kleidung den Aufgeregten mimen muß. „Heil Hitler“, Hakenkreuze, Geschützdonner, Kunstblut und blonde Alt- und Jung-Mädels pflastern seinen verwegenen Weg. Mit diesen Mädels — daran ist der Film besonders interessiert — mit diesen Mädels darf der beschnittene „Jupp“ nicht schlafen, obwohl gerade die Nazissen an ihm, den der „Rasse-Lehrer“ als waschechten „Arier“ identifiziert, Gefallen finden. Und so stolpert der Schauspieler brav von einer gefährlichen Situation zur nächsten, weil Agnieszka Holland ganz auf die Dramaturgie der äußeren Spannung setzt, Ereignis auf Ereignis für ihren Helden inszeniert, ohne sich um seine innere Spannung, um seine Angst zu scheren. Das proper-hübsche Gesicht von Marco Hofschneider strahlt einfältige Leere aus, gibt nicht den Schimmer einer Antwort auf die Fragen, die sich aus der wundersamen Rettung ja erst ergeben, die untrennbar mit ihr verbunden sind: was ist zu jener Zeit in Salomon gestorben? Wie konnte ein junger Jude es verkraften, sich an die Todfeinde seines Volkes anzupassen? Mit welcher Zerstörung, die damals schon begonnen haben muß, hat er für sein Überleben bezahlt? Nichts davon interessiert Agnieszka Holland: sie beutet die filmische Wirksamkeit der Tragik dieses Juden aus und macht aus der grausamen Wahrheit der Geschichte die Lüge eines trivial erzählten Films. Sybille Simon-Zülch

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