: Krieg, Vergewaltigung, Kinder
■ Bericht einer betroffenen Frau
Wie ich im Film von Helke Sander erzähle, bin ich das Kind einer Vergewaltigung. Erfahren habe ich es durch meine Mutter. Ich war elf, zwölf Jahre alt, es war Fastnacht, Sonntagabend, das Zimmer lag im Dunkeln, und sie lag, wie immer, im Bett. Ich war gerade dabei, wegzugehen, als sie mir haßerfüllt an den Kopf war, ich sei eine Hure und genau so ein Schwein wie mein Vater, der über arme Frauen hergefallen sei.
Mir wurde heiß und kalt, mein Herz schlug bis zum Hals. Ich war zutiefst erschrocken und verletzt über das, was ich hörte und über diesen tiefen Haß auf mich. Wortlos habe ich das Zimmer, in dem sie mit mir in Untermiete wohnte, verlassen. Ich habe nie wieder mit ihr über die Vergewaltigung gesprochen. Das, was ich über diese Frau, meine Mutter, weiß, habe ich von anderen Menschen erfahren. Auch daß meine Mutter Nonne in Holland war von 1929 bis 1939, haben mir Verwandte meiner Mutter erzählt. 1939 verließ sie das Kloster oder mußte es verlassen, sie kehrte nach Deutschland zurück, von 1939 bis 1943 Fabrikarbeit, dann Haushaltsgehilfin in Bingen und Mainz. 1945: die Vergewaltigung von Franzosen im Garten des Arbeitgebers, wo sie als Hausmädchen arbeitete. Sie wurde schwanger. Auf Grund der extremen Religiosität kam eine Abtreibung für sie nicht in Frage. Ihre Familie — in diesen Nachkriegswirren war die Familie oft der einzige Halt und Zusammenhalt, den Menschen hatten — ließ diese hilflose, verzweifelte und auch von der Kirche verlassene Frau mit ihrer Todsünde, der sichtbaren, allein. Ich bin bis zu meinem sechsten Lebensjahr in katholischen Waisenhäusern aufgewachsen. Krieg, Vergewaltigung, Kinder. Endlich wird dieses Phänomen in einem Film öffentlich gemacht. Die Mütter sind in einem hohen Alter oder tot. Die Väter unbekannt, Töchter und Söhne der vergewaltigten Frauen erwachsene Menschen. Es ist nicht leicht, ein solches Tabu das Schweigen, nach einem halben Jahrhundert, aufzubrechen. Das Schweigen selbst bedeutet für die Opfer von vorneherein soziale und psychische Ächtung durch die Gesellschaft. Und das Durchbrechen dieses Schweigens wird zusätzlich von eben dieser Gesellschaft in der Form der Stigmatisierung gegenüber jenen Frauen und Kindern benutzt, die gerade Opfer dieser Gewalttat sind. So wird das Opfer noch einmal zum Opfer und dafür bestraft, daß es kundtut, Opfer zu sein.
Die älteren Frauen, die über ihre und die angedrohten Vergewaltigungen ihrer Töchter sprechen, Töchter, die von sich und ihren Müttern, der Sohn, der von seinem Leben im Heim und sein Verhältnis zu den Frauen erzählen: Sie alle geben sehr Intimes preis nach so vielen Jahren, wohl wissend, daß Vergewaltigung nun wirklich kein gesellschaftliches Entree bedeutet. Und die Vergewaltigung, die die Frauen als Stigmatisierung erfahren und auch selbst als solche empfunden haben, soll nun, nach langen Jahren des Verheimlichens und Verschweigens öffentlich publik, für jeden sichtbar und erkennbar gemacht werden.
Das schafft große Ängste, Leiden und Unruhe und auch tiefe Unsicherheit. Von meiner Person kann ich das sagen, wie schwer es mir gefallen ist, soviel Privates, von anderen meines Bekanntenkreises nicht Gewußtes, von mir preiszugeben.
Helke Sanders Vorgehensweise ist es zu verdanken, daß ich viel von mir in diesem Film habe sagen können. Trotz der Ängste, die ich hatte und habe, war ich sicher, meine Würde als Mensch würde von ihr nicht angetastet werden. Ich wußte, ich würde von ihr nicht als exotisches Objekt vorgeführt werden. Ganz im Gegenteil. Sehr behutsam, doch unbedingt wissen wollend, hat sie die Fragen gestellt und mein Vertrauen gewonnen. Der Film ist mutig, ehrlich, radikal und zutiefst human. Es ist gut für uns Frauen, aber auch für die Männer, daß es diesen Film gibt. Wiltrud Rosenzweig
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