: 100.000 auf Stasi-Mitarbeit überprüft
■ Innensenator Heckelmann nennt Kriterien für Übernahme in den Öffentlichen Dienst/ 1.800 ehemals Beschäftigte entlassen/ 200 übernommen/ Bilanz der bisherigen Überprüfungen vorgelegt
Berlin. Im Öffentlichen Dienst der Hauptstadt hat es bislang 100.000 Überprüfungen auf mögliche Mitarbeit im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gegeben. Rund 1.000 Beschäftigte sind aufgrund ihrer Stasi-Tätigkeit fristlos entlassen worden, 800 flatterte aus dem gleichen Grund eine ordentliche Kündigung ins Haus. Etwa 200 Mitarbeiter wurden in den Gesamtberliner Öffentlichen Dienst übernommen. Diese Zahlen nannte Innensenator Dieter Heckelmann am Donnerstag abend in der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses.
Nach seinen Worten stehen in einigen tausend Fällen noch die Ergebnisse der Anfrage bei der Gauck-Behörde aus. Deren Erkenntnisse sollen im Rahmen einer »zweiten Überprüfungswelle« bei allen, auch bereits eingestellten Mitarbeitern eingeholt werden, um auch die zu erwischen, die ihren Personalfragebogen nicht wahrheitsgemäß ausgefüllt haben.
Wegen der Kündigungen sieht die Verwaltung einer Flut von Arbeitsgerichtsprozessen entgegen. Von den Gekündigten und Entlassenen haben fast 900 Klage erhoben. 600 dieser Fälle wurden bereits abgeschlossen, davon hat das Land Berlin 30 Prozent gewonnen. In 126 Fällen wurden auf dem Wege des Vergleichs Abfindungen gezahlt. Dabei lagen die Summen im Schnitt zwischen 400 und 7.000 Mark. Lediglich in drei Fällen wurde mehr gezahlt. Wegen dieser Zahlungen war der Senat heftig kritisiert worden. Heckelmann stellte am Donnerstag klar, daß »nicht die Großzügigkeit der jeweiligen im Kündigungsschutzverfahren beklagten Behörde, sondern die durch den Einigungsvertrag gegebene Rechtslage« Grund dieser Zahlungen sei. Die dort formulierte Vorschrift sei recht allgemein gehalten. Sie rechtfertige eine Kündigung wegen Stasi-Mitarbeit nur, wenn »ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint«. Entsprechend dieser Vorgabe macht die Innenverwaltung die Einstellung von Umständen abhängig, »die eine deutliche Distanzierung belegen«. Diese seien dann gegeben, wenn der Betreffende seine Tätigkeit vor dem Herbst 1989 selbst beendet und die damit verbundene Gefahr von Nachteilen in Kauf genommen hat. »Man muß sich allerdings bewußt sein«, erläuterte Heckelman das Vorgehen seiner Verwaltung , »daß hier der Vorwurf ansetzt, man hänge die Kleinen und lasse die Großen laufen.« In der »Koordinierungs- und Beratungsstelle zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit«, die bei der Innenverwaltung gebildet wurde, sind zur Zeit nur vier von sieben Stellen besetzt.
Gauck-Bescheide über Abgeordnete
Der Ehrenrat des Abgeordnetenhauses zur Überprüfung der Parlamentarier auf eine eventuelle Stasi-Tätigkeit kann demnächst seine Arbeit aufnehmen. Die Bescheide der Gauck-Behörde über die Abgeordneten liegen Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien seit Mittwoch abend vor. Eventuell betroffene Parlamentarier haben danach die Möglichkeit, selbst Einsicht in die Bescheide zu nehmen und bei der Gauck-Behörde Akteneinsicht zu beantragen. dr
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