Wenn der grünen Basis der Kamm schwillt

■ West-Grüne beklagen sich beim Bundesvorstand über allzu kompromißlerische Verhandlungen mit dem Bündnis 90

Berlin (taz) — Nach dem eher harmonischen Spitzentreffen von Grünen und Bündnis 90 in Kassel formiert sich an der grünen Basis „erster Widerstand gegen zu unkritische Verhandlungen“ mit der Bürgerbewegung. So jedenfalls sieht es die grüne Fraktion im Kreistag Lippe, die jetzt in einem offenen Brief an den Bundesvorstand „entschiedenere und kompromißlosere Verhandlungen mit dem Bündnis 90“ einklagt. Die acht lippischen Kreistagsmitglieder bekennen ihre „tiefe Sorge“, daß die derzeitige Verhandlungsführung „zwangsläufig die Aufgabe wesentlicher grüner Positionen“, den Rückzug grüner „Leistungsträger“ und letztlich das „Ende der Grünen“ selbst bedeuten könnte. Deshalb sei es „an der Zeit, sich von dem durch das Bündnis 90 erzeugten moralischen Druck zu befreien und endlich selbstbewußt eine inhaltliche Diskussion statt Machtpoker einzufordern“. Wie eine solche Diskussion vonstatten gehen könnte? — „Wir müssen das Bündnis zwingen, klar Position zu unseren Grundsätzen zu beziehen.“ Das halten die Basisvertreter auch unter wahlarithmetischem Gesichtspunkt für notwendig, da nicht nur „die diffuse Programmatik des Bündnis 90“, sondern auch prominente Vertreter — „Leute wie Wolfgang Templin und Konrad Weiß“ — für viele grüne Sympathisanten nicht wählbar seien.

Das findet auch Franz Stänner, Ex-Pressesprecher der grünen Bundestagsfraktion, der sich in einem Brief an den Bundesvorstand über Wolfgang Templin beklagt, der die Grünen zu einer „Öffnung in die Mitte der Gesellschaft“ und zum Abschied von der Links-Identität auffordert. Er qualifiziert Templins Einlassungen als „erpresserisch und anmaßend“ und verbittet sich — stellvertretend für „eine ganze Reihe grüner Mitglieder“, denen „allmählich der Kamm schwillt“ — die Aufforderung, „reuevoll die Politik meiner letzten 25 Jahre“ zu überdenken. Seine Forderung an den Vorstand: „mehr Selbstbewußtsein“. Denn ohne die Grünen werde das Bündnis nicht überleben, und dann könnten seine Vertreter ja wieder „evangelische Landesvolkshochschule und Runder Tisch spielen“.

Der Landtagsabgeordnete Roland Appel (NRW) setzt sich mit Äußerungen des Bonner Bündnis-Abgeordneten Konrad Weiß auseinander, der meint, die Grünen sollten sich endgültig von „Sozialismusmodellen aus K-Gruppen-Vorzeiten“ trennen. Damit diffamiere er die Grünen und verkenne deren eigentliche Intention, „die bürgerlichen Freiheitsrechte zu verteidigen und Ideologien zu entlarven“. Dafür hätten viele Grüne auf Karriere und gesellschaftlichen Aufstieg — so der Landtagsabgeordnete — verzichtet. „Entweder“, so Appels Konsequenz, „wir verhandeln zu fairen Bedingungen und mit fairen Argumenten oder nicht.“ eis