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Ohne Paß ist der Mensch ein Nichts

Wie drei Deserteure der irakischen Armee mit bürokratischer Spitzfindigkeit an der Flucht nach Deutschland gehindert werden/ Die Fußangel liegt im Bundesinnenministerium  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Seit fast einem Jahr hausen die drei kurdischen Brüder Abdulla in einer Kleinstwohnung im Istanbuler Stadtteil Laleli. Die Wände sind von Schimmel zerfressen, die Toilette und die Küche sind nicht benutzbar. Ein kleiner Gaskocher, auf dem Tee gekocht wird, ist die einzige Beheizungsmöglichkeit des 15 Qudratmeter großen Zimmers. Matratzen und Decken, die auf dem Boden liegen, sind das einzige Mobiliar. Die Brüder Abdulla sind Illegale: Irakische Kurden ohne Papiere. Wie Hunderttausende irakischer Kurden sind auch sie nach Ende des Golfkrieges vor den Bomben Saddam Husseins in die Türkei geflüchtet. Die Miete für das Drecksloch in Laleli kostet umgerechnet 500 Mark.

Der Hausbesitzer weiß, daß die Brüder als Illegale ohne Papiere hemmungslos ausgebeutet werden können. Sie müssen jeden Kontakt zur Außenwelt vermeiden. Eine Polizeirazzia bedeutet Abschiebung in das Land Saddam Husseins. Laleli ist ein Gefängnis für die Brüder. Dreizehn ebenfalls illegale irakische Kurden, die in der Nachbarschaft untergekommen sind, sind ihr einziger Kontakt zur Außenwelt. „Ab und zu nachts gehen wir in aller Stille zu ihnen hin und trinken gemeinsam Tee“, erzählt S. Abdulla.

Die Biographie der Brüder ist eine Geschichte von Krieg und Vertreibung. 13 Jahre hat der 33jährige A. Abdulla als Soldat in Saddam Husseins Armee gedient, acht Jahre hat er im iranisch-irakischen Krieg gekämpft. Er war an der Front von Saif Saad, wo Tausende Soldaten ihr Leben ließen. Sein Bruder S. Abdulla war in Mossul Soldat, als US-Bomber während des Golfkrieges ihre Bomben abwarfen: „Wir waren zwanzig Soldaten, als die US-Bomber kamen. Nur vier kamen mit dem Leben davon.“ Er flüchtete schließlich in seine kurdische Heimatstadt Kirkuk und versteckte sich in der elterlichen Wohnung. Seine beiden Brüder waren bereits desertiert.

Doch Nachrichten über die Exekution von Fahnenflüchtigen durch Sondertruppen Saddam Husseins ließen auch die Heimatstadt nicht mehr sicher erscheinen. Nach einem tagelangen Fußmarsch bei Schneeregen über die kurdischen Berge erreichten sie die irakisch-türkische Grenze.

Es folgten Monate der Internierung in türkischen Militärlagern. Im letzten Augenblick konnte die Abschiebung von Hunderten kurdischen Flüchtlingen im Militärlager Yüksekova, unter ihnen die Brüder Abdulla, durch Intervention ausländischer Institutionen verhindert werden. Die Abdullas kamen in das zentrale Flüchtlingslager in Silopi. Nach einer langen Odysee schafften sie es schließlich, sich nach Istanbul durchzuschlagen.

Hoffnungsschimmer Deutschland

Ihr älterer Bruder Karem Abdulla ist deutscher Staatsbürger, er lebt und arbeitet in Niedersachsen. Durch die Schreckensmeldungen wachgerüttelt, versucht er, seine Brüdern nach Deutschland und damit in Sicherheit zu bringen. Nichts schien seinem Wunsch entgegenzustehen. Nach Ende des Golfkrieges war die deutsche Öffentlichkeit wachgerüttelt. Vielversprechend hieß es in einer Entschließung des niedersächsischen Landtages: „Der Landtag verurteilt das brutale Vorgehen des irakischen Diktators Saddam Hussein gegen die kurdische Bevölkerung. Der Landtag spricht den betroffenen Menschen sein Mitgefühl aus und versichert sie seiner uneingeschränkten Solidarität. Die Landesregierung soll unter Berücksichtung der außergewöhnlichen Lebensbedingungen und der damit verbundenen Härten den Verwandten von hier lebenden Kurden auf dem Weg der Familienzusammenführung eine Aufenthaltserlaubnis erteilen.“ Für Karem Abdulla war die Welt nach diesem Beschluß wieder in Ordnung. Die ansonsten asyl- und ausländerfeinliche Bürokratie zeigte sich hilfsbereit und freundlich. Am 24. Juli 1991 stimmte das Ordnungsamt der Landeshauptstadt Hannover — zuständig für Aufenhaltsgenehmigungen — der Einreise der Brüder Abdulla nach Deutschland zu. Freundlich wird Karem Abdulla auch von Mitgliedern der deutschen Botschaft in Ankara und des Konsulates in Istanbul empfangen. In einem Botschaftsdokument vom 21. August bescheinigte die Botschaft, daß die Brüder Abdulla im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland reisen können werden. Allerdings: „Da die genannten irakischen Staatsbürger über keine irakischen Reisedokumente verfügen, wird die Bereitstellung der Dokumente rund vier Wochen in Anspruch nehmen“, heißt es in dem Botschaftsschreiben.

Seitdem ist über ein halbes Jahr vergangen. Die Brüder Abdulla hausen immer noch im Istanbuler Laleli. Der Grund: Da die drei Kurden über keine Reisepapiere verfügen, muß das Bundesinnenministerium der Befreiung von der Paßpflicht — eine Formalität — zustimmen. Genau das verweigert das Ministerium bislang.

Die Petitionen, die Karem Abdulla in der Zwischenzeit geschrieben hat, machten keinen sichtbaren Eindruck auf das Bundesinnenministerium. „Schlepperorganisationen, die Kurden illegal nach Deutschland schaffen, bieten sich einem in Istanbul geradezu an“, sagt Karem verbittert. „Hätte ich den illegalen Weg versucht, wären meine Brüder längst in Deutschland. Die Bürokraten im Innenministerium drängen einen geradezu darauf, mit illegalen Tricks zu arbeiten.“ Ein Ende des ängstlichen Ausharrens in dem Zimmer in Laleli ist nicht in Sicht.

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