: Bayerns Verfassungsschutz sieht rot und RAF
Widerstand gegen Weltwirtschaftsgipfel in München denunziert/ Autonome in Nürnberger Jugendzentrum in RAF-Nähe gerückt ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Die bayerischen Sicherheitsbehörden sehen rot. Angesichts der geplanten Aktionen gegen den Weltwirtschaftsgipfel (WWG) von 6. bis 8. Juli in München hatte Innenminister Edmund Stoiber schon vor zwei Monaten von der „größten Bewährungsprobe für die deutschen Sicherheitskräfte“ gesprochen. Der Präsident des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Hubert Mehler, führt sogar „ernst zu nehmende Hinweise“ auf Anschläge ins Feld. Ganz so wie einst beim Widerstand gegen die WAA Wackersdorf wird die RAF ins Spiel gebracht. Für Innenstaatssekretär Günther Beckstein reicht der Kreis der möglichen Täter von den Terroristen über Befreiungsbewegungen aus der Dritten Welt bis hin zu den Autonomen. Mit Hilfe von Journalisten, die sich als Sprachrohr des Verfassungsschutzes verstehen, gerät dabei das Nürnberger Jugendzentrum „KOMM“ ins Zentrum der Stimmungsmache.
„Sicherheitsexperten schlagen Alarm — Das KOMM im Zwielicht“, lautete die Schlagzeile der 'Nürnberger Zeitung‘ vom Samstag. Von „angeblichen gewalttätigen Aktionen“ gegen das Gipfeltreffen der Chefs der sieben führenden Wirtschaftsnationen mit rund 1.800 Delegierten ist die Rede. Namentlich nicht genannte „Sicherheitsexperten“ kommen zu Wort. Sie sehen in dem seit jeher umstrittenen „KOMM“ ein „Zentrum für das gewaltbereite Spektrum“ in Bayern. Gezeichnet ist der Beitrag von Chefreporter Dietmar Wittmann, der in allen seinen Beiträgen zeigt, über welch gute Beziehungen er zu den Verfassungsschutzbehörden verfügt. Meist lanciert er Informationen, die direkt aus den Ämtern stammen. Diesmal war es die Zahl der Teilnehmer an zwei Treffen zur Vorbereitung der Aktionen gegen den WWG im KOMM. Wittmann zufolge hält Bayerns oberster Verfassungsschützer Hubert Mehler Anschläge der RAF für „eine realistische Befürchtung“.
Aus den Formulierungen und dem „Selbstverständnis der im KOMM verkehrenden Autonomen“ leitet Mehler deren Nähe zur RAF ab. Die Gruppen könnten die gesamte Logistik des KOMM nutzen, das ungestörte Arbeitsmöglichkeiten böte. Er verschwieg, daß das KOMM von der Stadt Nürnberg finanziert wird.
Michael Popp, innerhalb der Stadtverwaltung als Leiter des Amtes für Kultur und Freizeit zuständig für das KOMM, wehrt sich dagegen, die Vorbereitungstreffen im KOMM „aufzubauschen“. Solche Gruppen würden nur „mit starken Sprüchen Politik machen“. Er verstehe aber, daß die Sorge der Sicherheitsbehörden groß sei. Josef Hierlmeier vom örtlichen Lateinamerika-Komitee, das in die geplanten Aktionen gegen den WWG eingebunden ist, hält Popps Stellungnahme für „bedauerlich“. Unterschwellig gebe sie den Sicherheitsbehörden in ihrer Einschätzung recht. Dabei verweist Hierlmeier auf die Ankündigung Becksteins, daß man im Vorfeld des Gipfels extensiv von dem im Polizeiaufgabengesetz vorgesehenen „Unterbindungsgewahrsam“ Gebrauch machen werde. Insgesamt will der Freistaat in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern 10.000 Polizisten in der Landeshauptstadt zusammenziehen. Ganze Stadtviertel sollen rigoros abgesperrt werden. Denn Innenstaatsekretär Beckstein glaubt zu wissen, daß von den Autonomen bis zur RAF, von der IRA über die SWAPO bis zu Dritte-Welt-Widerstandsgruppen, daß sie alle, alle kommen, um den Gipfel zu stürmen.
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