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Roter Mercedes Todessymbol

Der „barocke Faschist“ Veit Harlan sorgte vor 40 Jahren in Freiburg für Proteste. Jetzt gab dort ein Seminar über den Regisseur  ■ Von Martin Halter

Vor vierzig Jahren war in Freiburg der Teufel los. Rund ums „Friedrichsbau“-Kino, wo Veit Harlans Melodram Hanna Amon mit großem Erfolg — 16.000 Zuschauer an fünf Tagen — gezeigt wurde (der Regisseur und seine dritte Frau, die „Reichswasserleiche“ Kristina Söderbaum, waren eigens zur Premiere angereist), lieferten sich protestierende Studenten und Fans des „grobschlächtigen Bauernfilms“ (so der lokale Filmkritiker) Wortgefechte und Schlägereien. Die einen erhoben die Absetzung des Films zu einer „Frage des politischen Taktes und der moralischen Verantwortung“; die schweigende Mehrheit, die sich im selbstzufriedenen Genuß eines „prima deutschen Films“ (und ihrer Vergangenheitsbewältigung) nicht durch wunde Punkte im Vorleben des Regisseurs stören lassen wollte, hielt dagegen: „Judenlümmel raus!“ Am 16.Januar kam es zum Eklat, als die Polizei eine Demonstration von 300 Studenten gnadenlos niederknüppelte. „Die haben wie die Wilden dreingeschlagen“, erinnert sich Rudolf Schieler, einer der drei Schwerverletzten, heute noch mit Schaudern. Später, als Baden-Württembergischer Justizminister, will der Jurastudent den blutigen Kopf von damals zu einer „kritischen Würdigung jedes staatlichen Gewalteinsatzes“ genutzt haben.

Aber auch die Gegenseite hatte ihre demokratischen Lektionen gelernt. Der Polizeipräsident — er wurde später abgesetzt, weil er mit Harlan in einer Weinstube getafelt hatte, als seine Beamten prügelten — ließ in den Vorstellungen abstimmen, bevor sein Ordnungsdienst Zwischenrufer und Stinkbombenwerfer „zerstreute“. Als es, nach der empörten Verurteilung des Polizeieinsatzes durch Gemeinderat und Presse, nach dem Bericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und Solidaritätsadressen aus dem In- und Ausland zu einem juristischen Nachspiel kam, saßen, schön paritätisch, drei Teilnehmer auf der Anklagebank: ein Polizist, der durch seine „unglaubliche Roheit das Ansehen der Polizei“ geschädigt hatte, ein Pressevertreter, der ein Polizeiwerbefoto zur Ausschmückung seines Artikels verwendet hatte, und ein Demonstrant, der zu behaupten gewagt hatte, er sei noch auf dem Revier blutig geschlagen worden. Alle wurden verurteilt, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Freiburg hatte seine erste demokratische Bewährungsprobe bestanden — wenn nicht die Bürger, so doch ihre offiziellen Sprecher; wenn nicht aus politisch-moralischen Gründen, so jedenfalls aus Sorge um den guten Ruf Deutschlands. Inmitten vielfältiger „politischer Instinktlosigkeiten“, rühmte die 'Badische Zeitung‘ später, „leuchtet die Demonstration hervor als ein nachdrückliches Bekenntnis zu menschlicher Sitte und friedlicher Gesinnung.“ Von 1952 führt daher kein Weg nach 1968: Nicht nur, weil die Demonstranten von allen staatstragenden Kräften unterstützt wurden. Selber noch in Nazi-Zeiten groß geworden, wollten sie weder den neuen Staat in Frage noch die Vätergeneration an den Pranger stellen, sondern nur eine saubere Schuld-Entsorgung, bei der die Altlast Harlan im Wege stand.

Der Film, vom badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb höchstselbst abgesetzt, wurde im Juni wieder ins Programm aufgenommen, und Veit Harlan — „meine Partei ist die Kunst“ — setzte sein düsteres Schaffen fort; nur ein paar anonyme Briefschreiber, die den Studenten „die Kaldaunen rausreißen und den Termiten zum Fraß vorwerfen“ wollten, konnten sich nicht mit der jüdischen Verschwörung abfinden.

Vierzig Jahre nach den Ereignissen veranstalteten das Freiburger Kommunale Kino und das Archiv für soziale Bewegungen jetzt ein Wochenendseminar über den Regisseur des Durchhaltewerks Kolberg und Jud Süß, des Films zur Judendeportation. Veit Harlan gilt, neben Leni Riefenstahl, immer noch als eine der umstrittensten Figuren des deutschen Kinos. Für die einen ist er des Teufels Regisseur, ein „barocker Faschist“ (Karsten Witte), ob er nun freiwillig mitmachte oder als „willenloses Werkzeug“ von Goebbels dienstverpflichtet wurde, wie er später vorschützte. Andere wollen sich durch die politischen Betriebsunfälle eines besessenen Künstlers nicht den Blick auf seine Filmästhetik verstellen lassen; als schwarzer Melodramatiker steht der „Prügelknabe des gängigen Antifaschismus post festum“ für sie gleich neben Sierck und Fassbinder. Norbert Grob etwa nennt Harlan einen „deutschnationalen Dramatiker mit sicherem Gespür für mythische Geschichten und viel Sinn für emotionale Effekte, die — als verführerische Essenz der Filmkunst, als Tiefenreiz und Mittel für Verzauberung zugleich — sich selbst genügen“.

Aber die These bei dem Freiburger Seminar selbst zu vertreten, fehlte dem Filmjournalisten offenbar denn doch der Mut. Wäre er so nicht in ungute Nähe zum Mob von 1952 gerückt worden? Zur „Schießbudenfigur“ wolle er sich nicht hergeben, ließ Grob die Veranstalter wissen.

Seine kurzfristige Absage war um so bedauerlicher, als der Ersatzmann Peter Nau ein glatter Ausfall war — und ein Beleg dafür, welche Berührungsängste und Verdrängungsstrategien das Thema immer noch mobilisiert. Denn anstatt überJud Süß zu referieren, beschränkte sich der Berliner Filmkritiker auf rhapsodische Anmerkungen zur Akkumulation des Kapitals im 18.Jahrhundert. Jud Süß, so beschied er die verblüfften Zuhörer, könne weder eine „geschichtliche Dimension“ (in Wirklichkeit war die Sache mit dem Finanzberater des württembergischen Herzogs nämlich ganz anders) noch „ästhetische Qualitäten“ beanspruchen; und über die „Leere“ dieses „Schmierentheaters“ wollte er kein Wort verlieren. In der Nacht des Kapitalismus sind offenbar alle Katzen grau.

Mit einem solchen ideologiekritischen Zugriff (wenn man das soziologische Gestammel so nennen darf), der Inhalt und Form, historisches Substrat, Gegenwartshorizont und „Abbildung“ plump in eins setzt, lassen sich natürlich keine ästhetischen Strukturen und Kontinuitäten im Werk Harlans — und des deutschen Films überhaupt — herausarbeiten: reflexive Distanz kann auch ein Mittel bequemer Distanzierung sein. Zwar erscheint die Filmsprache des — immer noch unter Verschluß gehaltenen — Jud Süß mit ihren grell überzeichneten Charaktertypen oder den Parallelmontagen von deutscher Zucht und jüdischem Gewimmel heute zu aufdringlich, um mehr als ahnungsvolle Schauer möglicher Emotionen aufrühren zu können. Aber sie erinnert sehr wohl an ikonographische Traditionen des Fremdenhasses: Der Einzug der Juden in Stuttgart etwa könnte auch als Horrorbild vom „Asylantenstrom“ durchgehen. Zu moralischer Arroganz besteht jedenfalls so wenig Anlaß wie zur blinden Selbstzerknirschung jener, die vor lauter Betroffenheit und Solidarität mit „unseren jüdischen Mitbürgern“ gar nicht mehr genau hinsehen wollen, wie Ausgrenzung und Denunziation funktionieren.

Klaus Gietingers Spielfim Schön war die Zeit (1988) zeugt manchmal von einem solchen hilflosen Antifaschismus. In Fassbinder-Manier konfrontiert er den Wiederaufstieg eines Nazi-Regisseurs, der sichtlich Veit Harlan nachempfunden ist, mit dem Scheitern eines unschuldigen Kinofreaks in der Allgäuer Provinz. Nicht ohne Liebe zum Detail, aber statisch und pädagogisch verkündet der kritische Heimatfilm seine Botschaft: Der verlogene Heimatfilm der fünfziger Jahre ist Ausdruck eines kollektiven Verdrängungsprozesses — und Fortsetzung der Goebbelschen Unterhaltungspropaganda mit anderen Mitteln.

Diese ebenso eingängige wie gängige These versuchte der Filmjournalist Georg Seeßlen anhand von Harlans letztem Film Ich werde Dich auf Händen tragen (1958) zu differenzieren. Wo andere nur eine tränenselige Schmonzette im Stil der Zeit sahen, eine Art Rebecca mit Kind, deutete Seeßlen, mit den Werkzeugen einer detaillierten Diskursanalyse bewaffnet, den deutschen Alptraum voll schwerer Symbole, musikalisch-erotischer Subtexte und einer raffiniert eingesetzten Farbdramaturgie, der Harlan zu einem untypischen (und relativ erfolglosen) Vertreter des deutschen Nachkriegskinos machte. Er habe sich eben nicht in die übliche harmlos-heitere Verdrängung geflüchtet, sondern bewußt-unbewußt seine — inzwischen auch katholisch motivierte — schicksalsgläubige Todessehnsucht rekonstruiert — als die gemeinsame „Mutterstruktur“ von Melodram und Nazi-Ideologie. Wenn Kristina Söderbaum hier erst durch die Geburt von Zwillingen den nekrophilen Alp ihrer toten Vorgängerin abwerfe, so knüpfe dies allenfalls an der Oberfläche von Familienfilm und Happy-End-Vergangenheitsbewältigung an. Es sei vielmehr eine „kategoriale“ Spielart jenes faschistischen Muttermythos, der sich gegen konkrete Erfahrung abdichtet: Die nordisch gepanzerte Frau wird in Italien mit ihrer Schuld konfrontiert und von ihrer rassisch diffusen Stieftochter Agnes daran gehindert, sich als Opfer zu inszenieren und in einem soldatisch-heroischen Sinne Mutter zu werden. Jeder Anfall von freiem Willen beschleunigt nur das schicksalhafte Verhängnis, von dem einzig der Tod erlösen kann. Der Plot rebelliert so gegen seine Substruktur: Selbst ein roter Mercedes fungiert bei Harlan als Todessymbol und eben nicht als Konsumfetisch des Wirtschaftswunders.

Wenn die „faschistische Metaphorik“ des Genres die Kontinuität stiftet, kann Seeßlen Harlan als „Muster des deutschen Melodrams“ retten, ohne ihn entnazifizieren oder vorschnell verteufeln zu müssen. Indem er sich, an der großen, vollständig ergreifenden Form festhaltend, der „Verkleinerung und Verzuckerung aller sozialen Konflikte“ verweigerte, wurde Harlan zu einem Fremdkörper im Nachkriegskino, unfähig, seine „antimelodramatische“ reaktionäre Modernisierung nachzuvollziehen. Seeßlen machte sich damit weder zum Ehrenretter noch zur Schießbudenfigur. Im Gegenteil: Seine subtile Analyse erschütterte auch liebgewordene Gewißheiten des Publikums. Manchem verging jedenfalls die vorher lachend vollzogene Erhebung über die erhabene Liebesschnulze.

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