: Die Totgesagten lassen grüßen
Viertelfinal-Play-off im Eishockey: Der EHC Freiburg (2:0 in Berlin) und der Kölner EC wollen nicht in Urlaub/ Düsseldorf nach 11:1 gegen Schwenningen als erste Mannschaft im Halbfinale ■ Aus Berlin Matti Lieske
Craig Sarner, der Trainer der Berliner Preussen, ist ein mit allen Eiswassern gewaschener Kenner des Hockeywesens. Er weiß um die Tücken des Play-off und wurde nicht müde, seinen kellenschwingenden Untertanen diese plastisch vor Augen zu führen. In der nordamerikanischen NHL ist es keineswegs eine Seltenheit, daß Teams, die in ihrer Serie haushoch führen und nur noch einen Sieg zum Erreichen der nächsten Runde brauchen, plötzlich vor lauter Übermut ins Stolpern geraten und doch noch den Kürzeren ziehen. In der Bundesliga, wo die Hierarchien gemeinhin recht klar sind, passiert so etwas schon seltener, und es ist kein Wunder, daß sich etwa der BSC Preussen bereits im Halbfinale wähnt, wenn er den EHC Freiburg zweimal locker besiegt hat. Außer Craig Sarner.
Der hatte seinen Cracks den Viertelfinalgegner schon vor Play-off- Beginn in den schrecklichsten Farben an die Wand gemalt. „Genau so stark wie die vier Top-Teams“ seien die Freiburger, „mit Abstand der schwerste Gegner, den wir hätten erwischen können“, und: „Ich bin davon überzeugt, daß dieses Viertelfinale über fünf Spiele gehen wird.“ Damit könnte er Recht behalten, denn die beharrlichen Kassandra- Rufe, die er nach dem mit 3:0 gewonnenen Heimspiel und dem 6:2-Sieg im Breisgau ausstieß, blieben fruchtlos. „Das Halbfinale haben wir noch lange nicht erreicht“, hatte er gewarnt, doch seine Spieler gingen in der Berliner Eissporthalle zu Werke, als wollten sie sich lediglich ein bißchen für die mutmaßlich gegen Düsseldorf zu absolvierende Vorschlußrunde warmlaufen.
Dabei hatte alles verheißungsvoll begonnen. Im Tor der Freiburger steht nämlich mit dem 41jährigen Jiri Crha ein alter Haudegen im reinsten Sinne des Wortes. Der 120malige Nationalspieler der CSFR haßt es, wenn gegnerische Spieler seinem Torraum zu nahe kommen, und tun sie es trotzdem, haut er sie um. Crha ist der absolute Strafbankkönig unter den Bundesliga-Torhütern und sollte der aufbrausende Veteran noch eine Saison dranhängen, dürfte es sich für den EHC Freiburg empfehlen, extra einen Spieler zum Absitzen der Strafzeiten ihres Keepers anzuheuern. In Berlin kassierte er seine obligatorischen zwei Minuten bereits nach 18 Sekunden des ersten Drittels, untypischerweise für so etwas Harmloses wie „Spielverzögerung“. Er hatte den Puck absichtlich ins Publikum gelupft.
Dies gab den Preussen zum erstenmal Gelegenheit, eines jener Powerplays vorzuführen, für die die Deutschen in aller Welt beliebt sind. Kein einziges Mal gelang es ihnen, sich im Angriffsdrittel festzusetzen, und auch das „Come on, Come on“, das aus den Lautsprechern rockte, konnte sie nicht zu vielversprechenden Taten animieren. Die Freiburger stellten sich bei ihren Überzahlspielen meist nicht besser an und ließen sogar zweimal die Gelegenheit ungenutzt, mehr als eine Minute lang fünf gegen drei spielen zu dürfen. In der Folge gab es zwar hin und wieder Torchancen auf beiden Seiten, die von den sehr guten Torhütern zunichte gemacht wurden, doch ansonsten verbrachten die beiden Teams die Zeit mit einer Spielweise, die es im Eishockey eigentlich gar nicht gibt: Mittelfeldgeplänkel.
Die Versuche, ein Tor zu erzielen, beschränkten sich auf unplazierte, überhastete Schüsse, und es hätte schon miserabler Torhüterleistungen bedurft, auf diese Art einen Treffer zu produzieren. Gefahr kam nur bei Strafzeiten auf, allerdings fast ausschließlich für die in Überzahl spielende Mannschaft bei Gegenstößen nach törichtem Puckverlust. Das „Come on, come on“ war längst resigniert verstummt und die interessanteste Szene der Partie eine Schwalbe rückwärts von Jiri Crha. Als ihn ein Preusse, wohlwissend um seine Neigung zum Ausschlagen, weiträumig umfuhr, warf der Freiburger Keeper plötzlich akrobatisch beide Beine in die Luft und ließ sich maikäferhaft auf den Rücken plumpsen. Eine schauspielerische Fehlleistung, für die er sich mahnende Worte vom Schiedsrichter und „Du bist zu alt“-Gesänge von den Rängen gefallen lassen mußte.
Bis zur 49. Minute fiel kein Tor und alles deutete auf ein 0:0 mit anschließendem Penalty-Schießen hin, da mußte Georg Holzmann, noch einer der besten Berliner, wegen Hakens auf die Strafbank. Bei einem ihrer Überzahl-Konter gelang den Freiburgern, in Wahrheit eine teutonisierte CSFR-Auswahl, die beste Kombination des Abends: Pavel Gross spielte zu Jacek Plachta, von dessen Schläger hupfte der Puck zu Damian Adamus, der sich die hoppelnde Scheibe in Ruhe zurechtlegte und sie dann unter dem fallenden Torwart Merk hindurch ins Tor schob.
In den letzten zehn Minuten zeigten die Preussen, zu was sie fähig gewesen wären, wenn sie auf ihren Trainer gehört hätten. Doch Crha besann sich nun auf seine eigentliche Aufgabe und hielt alles, was auf sein Tor zuflog. In der letzten Minute schickten die Preussen für Torhüter Merk einen sechsten Feldspieler aufs Eis, was sie nicht hätten tun sollen. Wie üblich ging das Powerplay nach hinten los, die Freiburger fingen den Puck ab und Martin Reichel aus Litvinov schob ihn zum 2:0 ins Tor.
Nun müssen die Berliner am Freitag noch einmal nach Freiburg, um dort die Hierarchie wieder zurechtzurücken. Eine Sache, mit der die Kölner Haie bereits begonnen haben: Nachdem sie bei zwei Niederlagen gegen Mannheim eher wie besoffenen Walfische übers Eis getorkelt waren, rafften sie sich ausgerechnet am Fastnachtdienstag zu einem rauschenden 5:1-Sieg auf. Die Totgesagten lassen grüßen.
Abstiegsrunde, 3. Spiel:
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