: Über die Künstleragentur ins Bordell gezwungen
■ Schlepper philippinischer Frauen in Essen vor Gericht/ Staatsanwalt: „Angeklagte nur Spitze des Eisberges“
Düsseldorf (taz) — Die beiden Angeklagten blicken, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Der 54jährige Reinhold Kamper und die 38jährige Zypriotin Kastenini Ionannou gehören zu der Sorte Mensch, denen Staatsanwalt Hans-Dieter Bamler „ungeprüft einen Gebrauchtwagen“ abgekauft hätte. Er hätte jedoch eher eine schlanke, verängstigte Frau von den Philippinen bekommen, denn die beiden gehören nach den Ermittlungen zu den Drahtziehern eines brutalen Geschäfts: Der Prozeß am Dienstag im großen Saal des Essener Landgerichts dreht sich um Menschenhandel, ausbeuterische Zuhälterei und erzwungene Prostitution. Im Zentrum des Ganzen stand Frau Ionannou, die in philippinischen Folkloretanzschulen Mädchen angeworben haben soll, um ihre Kunst in Zypern zu zeigen. Dort angekommen, standen vertragswidrig Striptease und Prostitution auf dem Programm. Wer sich weigerte, bekam kein Geld, sondern Prügel.
Schon bei der Ankunft nahm die Agenturchefin den völlig mittellosen Frauen ihre Pässe ab. Sechs Monate dauerte der Zwangsaufenthalt in Zypern, dann trat Reinhold Kamper mit seiner Künstler- und Artistenagentur auf den Plan. Wieder wurden den Mädchen Verträge als Folkloretänzerinnen angeboten. In Deutschland, so versprach die Angeklagte Ionannou den inzwischen mißtrauisch gewordenen betrogenen Frauen, werde es viel besser für sie. Dort seien Striptease und Prostitution für Ausländerinnen verboten. Als „Gegenleistung“ für ihre Vermittlungstätigkeit kassierte die Zypriotin pro Monat von jedem Mädchen 500 Mark. Die Vermittlung der Mädchen an Bars und bordellähnliche Betriebe verlief nach dem immer gleichen Muster. Um das Ausländeramt zu täuschen, schloß Agenturchef Kamper mit den Barbesitzern einen Vertrag, in dem nur von Folkloretänzen die Rede war. Weigerte sich ein Mädchen, wurde Druck gemacht. Denen, die sich standhaft weigerten, wurde zunächst der ohnehin nur bei rund 1.200 Mark netto liegende Lohn gekürzt oder der Arbeitsvertrag ganz gekündigt. Beim Ausländeramt wurden sie dann als Prostituierte verraten. Und die Ämter handelten prompt. Nicht die Zuhälter bekamen Schwierigkeiten, sondern die Mädchen: Sie wurden umgehend nach Manila abgeschoben, wo schon eine Klage wegen Prostitution wartete.
Zehn Jahre lang betrieb Kamper seine „private Arbeitsvermittlungsagentur“, deren Dienstvorgesetzter das Landesarbeitsamt war. Dieses bekam zwar durch Anzeigen Wind, wurde aber nie aktiv. Nur durch einen Zufall flog die Sache auf. Ermittlungsergebnisse aus einem anderen Fall ließen die Fahnder auf Kamper stoßen. Monatelang wurde daraufhin dessen Telefon abgehört, und plötzlich lag das tatsächliche Geschäftsgebaren offen. Kamper selbst leugnete bis zum Schluß. Doch da waren ja die Bänder, die für Staatsanwalt Bamler ein scheußliches, aber wichtiges Beweismittel darstellen. Bamler wörtlich: „Manchmal hatte man den Eindruck, es handele sich um Viehhandel.“ Nach den Schätzungen der Ermittler „vertrieb“ Kamper 500 bis 600 Frauen. Angeklagt ist er wegen neun Fällen. Als Höchststrafe drohen den beiden Angeklagten, die seit zwei Jahren in U-Haft sitzen, nun zehn Jahre Haft. Walter Jakobs
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